EHV Bonn bestellt RA’in Brenner zur Vertragsanwältin für Insolvenzrecht

Bonn, den 05.05.2022 – Ich freue mich mitteilen zu dürfen, dass der #Einzelhandelsverband Bonn-Rhein/Sieg-Euskirchen mich zur Vertragsanwältin für Insolvenzrecht bestellt hat. Ich bin damit beauftragt, die Mitglieder des Verbands in allen Fragen zum Insolvenzrecht zu beraten, z.B.:

  1. bei der Forderungsanmeldung: Die Forderungsanmeldung und Überwachung der Insolvenztabelle führen wir im Auftrag des EHV für die Mitglieder kostenlos durch (die Gebühren trägt der EHV),
  2. bei der Durchsetzung Ihres Eigentumsvorbehalts und anderer Kreditsicherheiten unterstützen und vertreten wir Sie (auf die Gebühren erhalten Sie als EHV-Mitglied einen Rabatt von 10 %),
  3. ebenso bei der Vorbeugung und Abwehr von Insolvenzanfechtungen,
  4. bei der Weiterbelieferung vor und nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens,
  5. bei der Identifizierung und Korrektur toxischer AGB-Klauseln
  6. und v.a.m.

Außerdem beraten wir Sie zu den Besonderheiten bei

  1. Eigenverwaltung,
  2. CovInsAG und
  3. außergerichtlichem Restrukturierungsverfahren (StaRUG)

Die Erstberatung ist für die Mitglieder kostenlos; der Verband übernimmt die Gebühr für seine Mitglieder. Falls ein Mandat zur Vertretung erteilt wird, erhalten Mitglieder einen gesonderten EHV-Rabatt in Höhe von 10 % auf die Gebühren.

Ich freue mich auf die Zusammenarbeit!

https://www.ehvbonn.de/der-verband/ihre-vorteile/

BGH: Weiteres Urteil zur Vorsatzanfechtung

Karlsruhe, 24.02.2022 – Zum Vorsatz im Anfechtungsrecht

Beim Vorsatz muss man genau hinschauen, denn:

„Beim Vorsatz verbietet sich jegliche Spekulation“.

zit.: BGH in Strafsachen, 4 StR 399-17 („Raser-Urteil I“), zur Ermittlung des dolus eventualis beim Täter

Diese Rechtsposition hatte die Verfasserin bereits mehrfach in ihren Vorträgen zum Anfechtungsrecht beim FORUM Institut für Management im Jahr 2018 in Frankfurt/M. und zuletzt bei der ZIP-Tagung des Otto-Schmidt-Verlags im Jahr 2021 vertreten. Offenbar ist nunmehr auch der BGH in Insolvenzsachen dieser Meinung. Wie schön!

Die Verteidigung eines Anfechtungsgegners gegen eine Vorsatzanfechtung ist herausfordernd, aber nicht aussichtslos. Insbesondere wenn es um den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners geht, der zwingende Voraussetzung für die Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO ist, kämpft der Gläubiger auf unbekanntem Terrain, denn dazu kann er schlicht gar nichts sagen. Gleichwohl ist die Feststellung des (fehlenden) Vorsatzes für den Gläubiger essentiell. Denn ohne Vorsatz keine Kenntnis vom Vorsatz und somit auch keine Anfechtung beim Gläubiger. Es ist deshalb die einzige Aufgabe des Verteidigers, darauf zu achten, dass der Vorsatz korrekt ermittelt und nicht wild herumspekuliert wird.

Der BGH hat sich jetzt ein weiteres Mal zu den Voraussetzungen an den Schuldnervorsatz im Rahmen einer Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO geäußert:

Die Zahlungsunfähigkeit stellt nur dann ein Indiz für den Benachteiligungsvorsatz dar, wenn der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit erkannt hat“ heißt es in Tenor 1 des Urteils vom 24.02.2022 – IX ZR 250/20.

https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=2022-2&nr=127541&pos=4&anz=150

Damit mit stellt der BGH nochmals ausdrücklich klar, dass die Kenntnis des Schuldners von seiner Zahlungsunfähigkeit nicht einfach vermutet werden darf. Es muss vielmehr bewiesen werden, dass er ein entsprechendes Bewusstsein auch tatsächlich HATTE. HÄTTE HABEN MÜSSEN reicht nicht. Damit baut der IX. Zivilsenat seine Rechtsprechung aus dem Urteil vom 6.5.2021 – IX ZR 72/20 – weiter aus. Es war immer schon klar, dass ein Vorsatz beim Schuldner nur dann angenommen werden kann, wenn dieser zahlungsunfähig war und seine Zahlungsunfähigkeit auch kannte. Das ist insofern also nichts Neues. Neu ist allerdings, dass der BGH diese Kenntnis jetzt hinterfragt und somit verlangt, dass die Verwalter zu allen Vorsatzelementen konkret vortragen, und zwar sowohl zum kognitiven (Wissens-) als auch zum voluntativen (Wollens-)Element. Das war bisher nicht notwendig. Der gängigen Auffassung etlicher Untergerichte, wonach Kenntnis HAT, wer sie ZU HABEN HAT, wird hier also eine Absage erteilt.

Dadurch wird gleichzeitig die Abgrenzung zur Haftung des Geschäftsführers nach § 15b InsO (früher: § 64 GmbHG) schärfer gezogen. Das Urteil des BGH vom 6.5.2021 wird von Verwalterseite scharf dafür kritisiert, dass einem Geschäftsführer, der nach § 15b InsO wegen Insolvenzverschleppung haften muss, bei der Anfechtung aber kein Vorsatz unterstellt werden darf. Das ist so aber nicht richtig:

Die Kritik übersieht dabei, dass die Anforderungen an die Haftung des Geschäftsführers nach § 15b InsO deutlich niedriger sind, denn hierfür reicht einfache Fahrlässigkeit aus, wogegen bei der Vorsatzanfechtung eine fahrlässige Handhabung der Dinge eben nicht ausreicht. Es musste  vielmehr vorsätzlich gehandelt worden sein, und zwar im Einvernehmen mit dem Gläubiger. Denn angefochten wird wegen Vorsatzes des Geschäftsführers ja nicht bei diesem, sondern beim Gläubiger! Dieser musste sich sozusagen mit dem Geschäftsführer gemein gemacht haben nach dem Motto, „Ich nehme das Geld, koste es die anderen Gläubiger, was es wolle.“

Die Haftung nach § 15b InsO greift also bereits ein, wenn der Geschäftsführer die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft ZU HABEN HATTE. Das reicht bei einer Vorsatzanfechtung aber eben nicht aus. Diese greift erst dann ein, wenn er sie auch tatsächlich GEHABT HATTE. Wenn der GF die Kenntnis also tatsächlich HATTE, greift sowohl der § 15b InsO als auch der § 133 Abs. 1 InsO (letzterer natürlich nur, wenn die zusätzlichen, gläubigerseitigen Voraussetzungen vorliegen). Umgekehrt: Wenn er die Kenntnis nur ZU HABEN HATTE, ist er im Bereich der (groben) Fahrlässigkeit unterwegs, was für eine Haftung nach § 15b InsO ausreicht, für eine Vorsatzanfechtung dagegen nicht. Es gibt sicherlich eine Grauzone, z.B. wenn der GF „angestrengt wegschaut“, etwa weil er damit rechnet, dass die liquiden Mittel dauerhaft notleidend sind und auch bleiben werden. Wer wegschaut, damit er nicht sieht, was er schon weiß, der kann natürlich mit mangelnder Bewusstseinsbildung nicht gehört werden.

Mit der Entscheidung vom 24.02.2022 führt der BGH seine Rechtsprechung zu den Anforderungen an den Vorsatznachweis in Bezug auf die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit nun fort.

Zunächst hatte der BGH nämlich nur das zweite Element des Schuldnervorsatzes überprüft, nämlich die Kenntnis von der gläubigerbenachteiligenden Wirkung seiner Zahlungen.

Beispiel:

  • BGH, Urt. v 12-09-2019, IX ZR 264-18 – ein unterhaltspflichtiger Schuldner meinte (irrig), er zahle den Unterhalt aus seinem pfändungsfreiem Einkommen. Der BGH meinte, dieser Irrtum könne darauf hinweisen, dass er kein Bewusstsein gehabt haben könnte, dass die Gläubiger geschädigt wurden, und wies die Sache zur weiteren Aufklärung zurück ans LG Lüneburg
  • BGH, Urt. v 18-07-2019, IX ZR 258-18, Urlaubskasse (1)
  • BGH, Urt. v 18-07-2019, IX ZR 259-18, Urlaubskasse (2)
  • BGH, Urt. v 21-11-2019, IX ZR 238-18, SOKA-Bau (Gegenleistungen)

In allen diesen vier Urteilen erkannte der BGH Anzeichen dafür, dass der Schuldner offenbar geglaubt hatte, durch die Zahlung von Rückständen und entsprechenden Kontenausgleich könne er später fällig werdende Ersatzleistungen (Ansprüche auf Ersatz von Urlaubsgeld u.a.) von einer Ersatzkasse generieren, wodurch die Abflüsse durch Zuflüsse wieder ausgeglichen würden. Obwohl im Anfechtungsrecht spätere Zuflüsse mit den anfechtbaren Abflüssen nicht saldiert werden dürften, so der BGH, bestünden doch erhebliche Zweifel an dem Bewusstsein des Schuldners, seine Gläubiger zu schädigen, und wies die Sachen zur weiteren Aufklärung jeweils zurück ans OLG Frankfurt/M. Der dortige „Spezialsenat“ hat überhaupt nichts dazu aufgeklärt, sondern den Hinweis des BGH als erwiesene Tatsache unterstellt und die Klagen insoweit abgewiesen. Von mir aus.

Mit Urteil vom 06.05.2021 – IX ZR 72/20 – hatte der BGH diese Rechtsprechung sodann weiter verfestigt:

„Tenor b)  Der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners setzt im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit zusätzlich voraus, dass der Schuldner im maßgeblichen Zeitpunkt wusste oder jedenfalls billigend in Kauf nahm, seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht vollständig befriedigen zu können; dies richtet sich nach den ihm bekannten objektiven Umständen.“

Neu war hier, dass diese Kenntnis sich auch auf die Zukunft beziehen muss, d.h. der GF musste gewusst haben, dass er die anderen Gläubiger voraussichtlich gar nicht mehr würde befriedigen können, und zwar nicht mehr nur binnen der Antragspflicht, also binnen 3 Wochen, sondern dauerhaft nicht. Hierfür müssen objektive Umstände herangezogen werden, die jeweils exakt zu ermitteln sind. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen dieser Umstände und für die Kenntnis des Schuldners hiervon liegt beim Insolvenzverwalter.

Während die vorzitierten Urteile sich vorwiegend mit dem Bewusstsein des Schuldners über die Folgen seiner Zahlungen befassten, äußert der BGH sich in seinem Urteil vom 24.02.2022 nun zur Kenntnis des Schuldners von seiner eigenen Zahlungsunfähigkeit bzw. von der Zahlungsunfähigkeit seines Unternehmens:

Was war passiert?

Die Schuldnerin hatte turnusmäßig Lizenzgebühren in Höhe von € 15.000 an ihre Gesellschafterin bezahlt; im Nachhinein stellte sich jedoch heraus, dass die Schuldnerin durch Kündigung und Fälligstellung von Wandel-Darlehensforderungen anderer Gläubiger zu diesem Zeitpunkt tatsächlich bereits objektiv zahlungsunfähig geworden war. Der GF der Schuldnerin war bei Vornahme der Zahlung allerdings noch davon überzeugt, dass diese Forderungen vertraglich nicht durchsetzbar waren, weil für die Darlehen zum einen eine feste Laufzeit vereinbart war, und sie im Übrigen einem vertraglich vereinbarten, qualifizierten Rangrücktritt unterlagen.

In Nachhinein hatte sich offenbar erwiesen, dass er Unrecht hatte, und dass die Rückforderungen tatsächlich liquide waren.

Der BGH hat diese Situation so bewertet, dass der Geschäftsführer sich keinen Benachteiligungsvorsatz gebildet hatte, und zwar mit folgender Begründung:

Ob der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit erkannt hat, hängt in erster Linie davon ab, ob er die Tatsachen kennt, welche die Zahlungsunfähigkeit begründen, und ob die gesamten Umstände zwingend auf eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit hinweisen. Hierzu muss der Schuldner nicht nur die Forderungen kennen, sondern auch deren Fälligkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO.

Hält der Schuldner eine Forderung, welche die Zahlungsunfähigkeit begründet, aus Rechtsgründen für nicht durchsetzbar oder nicht fällig, steht dies einer Kenntnis entgegen, sofern bei einer Gesamtwürdigung der Schluss auf die Zahlungsunfähigkeit nicht zwingend naheliegt (Verweis auf BGH, Urt. v. 19.02.2009 – IX ZR 62/08, Rn. 14).“

Für letzteres hatte der Kläger allerdings nichts vorgetragen.

Der BGH hat zunächst festgestellt, dass die Schuldnerin im Zeitpunkt der Zahlung von der mangelnden Durchsetzbarkeit der Forderungen ausging, und somit schon gar keine Kenntnis von der (tatsächlich aber eingetretenen) Fälligkeit der Forderungen hatte, und folgert daraus:

„Hatte die Schuldnerin keine Kenntnis davon, dass die gegen sie gerichteten Forderungen fällig waren, kann nicht angenommen werden, dass sie ihre Zahlungsunfähigkeit in einer für den Benachteiligungsvorsatz nach § 133 Abs. 1 InsO sprechenden Weise erkannt hat.“

Auch hier spielt das Bewusstsein des Schuldners also die entscheidende Rolle.

Fazit:

Für einen außenstehenden Gläubiger wird es schwer sein, einen solchen inneren Vorgang auf Seiten des Kunden festzustellen und entsprechenden Gegenvortrag zu führen. Entsprechender Sachvortrag des Verteidigers liefe Gefahr, „ins Blaue hinein“ vorgebracht zu werden. Allerdings zeigt dieser Fall eindrücklich, dass es durchaus Zusammenhänge gibt, die als äußere Anzeichen für einen mangelnden Benachteiligungsvorsatz streiten, und es ist die Pflicht des Gläubigervertreters, diese Anzeichen zu erkennen, zu ermitteln, vorzutragen und Bedenken gegen den Vorsatz zu formulieren, damit das Gericht dem nachgehen und einen Hinweis an den Verwalter erteilen kann.

Nicht ohne einen gewissen Stolz darf ich mitteilen, dass die Verfasserin diese Verteidigungsansätze seit Jahren verfolgt und sozusagen „erfunden“ hat. Umso größer ist jetzt natürlich die Freude, dass der BGH auf diese Linie einschwenkt.

Kann nämlich schon nicht festgestellt werden, dass der Schuldner die Zahlungsunfähigkeit und/oder die gläubigerbenachteiligende Wirkung seiner Zahlungen erkannt hatte, ist der Anfechtungsprozess schon gewonnen, denn dann kommt es auf die Kenntnis von Umständen, die für einen solchen Vorsatz streiten, und somit auf eine Kenntnis des Gläubigers, gar nicht mehr an.

Dabei stellt sich natürlich gleich die nächste Frage, nämlich wie stark die Beweiskraft von Umständen generell sein kann, wenn es grds. möglich ist, dass trotz Vorliegens verdächtiger Indizien tatsächlich fstgestellt werden muss, dass der Schuldner gar keinen Vorsatz hatte. Aber das ist ein anderes Thema.

Ein weiterer, interessanter Aspekt dieser Entscheidung ist Folgender:

Der BGH sagt:

„Ob der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit erkannt hat, hängt in erster Linie davon ab, ob er die Tatsachen kennt, welche die Zahlungsunfähigkeit begründen.“

Frage:

Beinhaltet die Definition des BGH von der Zahlungsunfähigkeit (mindestens 90% Deckung ist binnen 3 Wochen nach Fälligkeit herzustellen) auch solche „Tatsachen“, welche die Zahlungsunfähigkeit begründen? Was ist, wenn der Schuldner die Definition des BGH gar nicht kennt – was häufig der Fall sein wird? Was ist, wenn er geglaubt hat, er habe viel mehr Zeit, seine Verbindlichkeiten zu bedienen, als nur 3 Wochen? Was ist, wenn er den Deckungsgrad seiner Verbindlichkeiten gar nicht kennt, weil er die Buchhaltung erstens nicht selbst und zweitens nicht nach Fälligkeiten erledigt, geschweige denn eine prospektive Finanzflussrechung erstellen lässt?

  • Im Rahmen des § 15b InsO schützt ihn das eher nicht, weil er sich hätte Gewissheit verschaffen können und evtl. auch müssen. Als Geschäftsführer haftet er also für die Zahlung an den Gläubiger.
  • Im Rahmen des § 133 Abs. 1 InsO dürfte aber das Bewusstsein fehlen, das für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nun mal notwendig ist. Der Gläubiger haftet also nicht (mit).

„Beim Vorsatz verbietet sich jegliche Spekulation“.

Dieser Grundsatz scheint sich auch in Anfechtungssachen langsam durchzusetzen. Wie schön!

Bonn, den 22.03.2022 / B. Brenner

 

 

 

StaRUG – ein außergerichtliches Restrukturierungsverfahren für KMU?

Der Gesetzgeber hatte in § 16 StaRUG angeordnet, dass das BMJ eine Checkliste für Restrukturierungspläne zu erarbeiten und bekannt zu machen hat, welche an die Bedürfnisse von KMU angepasst ist (gemeint waren freilich wieder einmal KMU als Schuldner und nicht als Gläubiger). Diese Checkliste wird dann auf der Internetseite des BMJ veröffentlicht werden.

Warum sollten Sie sich damit befassen?
Beim Auslaufen der Corona-Hilfen und immer dann, wenn die Konjunktur wieder anzieht, sind etliche Insolvenzen zu erwarten. Nach der Corona-Pandemie werden es vor allem KMU sein, die am Ende der Liquidität angekommen sind, aber Waren ordern und Personal einstellen müssen. Es kann daher durchaus sinnvoll sein, diesen KMU durch schlanke außergerichtliche Schuldenerlass-Pläne zu helfen, am Markt bestehen zu bleiben. Denn durch jede Abwicklungs-Insolvenz geht nicht nur ein Kunde verloren, sondern auch ein Absatzweg.

Die Checkliste des BMJ soll möglichst alle Anforderungen enthalten, die von Gesetzes wegen an einen solchen Restrukturierungsplan gestellt sind. Da über die Restrukturierungspläne, die auf dieser Basis aufgestellt wurden, das Restrukturierungsgericht zu entscheiden haben wird, soll diese Checkliste eine gewisse Rechtssicherheit vermitteln.

Die Checkliste wird freilich nach wie vor keine Aussage über Art und Tiefe der Finanzplanung oder der Vergleichsrechnung mit einem gerichtlichen Insolvenzverfahrens enthalten. Hier spielt aber natürlich die Musik, insbesondere wenn es um die Nachhaltigkeit der Sanierung des Kunden und um die Kosten eines solchen außergerichtlichen Planverfahrens geht (vom Stellenabbau bis zu den Beraterkosten). Je höher die Anforderungen an Inhalt und Umfang der Sanierungspläne sind, desto teurer wird es natürlich. Und dann wird es für KMU schnell unerreichbar und für die Geschäftspartner/Gläubiger zu aufwändig und damit uninteressant.

Das BMJ hat zwischenzeitlich selbst (!?) eine Checkliste entworfen, die als Entscheidungsgrundlage dienen soll, und hat diese den Verbänden zur Stellungnahme übersandt. Sie ähnelt auffallend dem Muster-Inhalt von Insolvenzplänen, ABER:

VORSICHT bei Kreditsicherheiten:
In einem außergerichtlichen Restrukturierungsverfahren dürfen die (nicht besicherten) Gläubiger allein über einen Eingriff in die dinglichen Kreditsicherheiten anderer Gläubiger (verlängerter Eigentumsvorbehalt, Sicherungszession von Forderungen, Sicherungsübereignung von Warenlägern, das Spediteurpfandrecht, Immobiliarsicherheiten…) abstimmen (§ 2 Abs. 1 Ziff. 2 StaRUG, s.u.)! Diese Kreditsicherheiten, die ausschließlich dafür kreiert wurden, in dieser Situation ihre Wirkung zu entfalten, können also im Nachhinein vollständig entwertet werden. Gegen die Abwertung ihrer Sicherheiten können die Gläubiger sich gegenüber dem Gericht zwar wehren; das bedeutet aber immer Aufwand: Personalbindung, Anwaltskosten. Im gerichtlichen Insolvenzplanverfahren wäre das nicht zulässig: Hier wird die Zustimmung des betroffenen Gläubigers vorausgesetzt und seine Zustimmungserklärung ist dem Insolvenzplan beizufügen (§ 228 InsO, s.u.). Das ist vielen Insolvenzverwaltern und Planberatern freilich nicht sehr geläufig, und den Gerichten, die den Plan ablehnen müssten, allzu häufig leider auch nicht. Auch hier ist also Aufwand erforderlich, aber der lohnt sich.

Gläubigerverbände, Lieferanten und Industrie können auf die Gestaltung und die Inhalte der Checkliste jetzt nochmal Einfluss nehmen. Das Ziel ist:
– schlank
– machbar
– zügig
und
– für Gläubiger und Gerichte einfacher nachprüfbar!

Deadline für die Einreichung der Stellungnahme beim BMJ ist der 11. März 2022.

Bonn, den 17.02.2022
B. Brenner
__________________________________

§ 2 StaRUG – Gestaltbare Rechtsverhältnisse
(1) Auf der Grundlage eines Restrukturierungsplans können gestaltet werden:
1. …
2. die an Gegenständen des Schuldnerischen Vermögens bestehenden Rechte, die im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zur Absonderung berechtigen würden, es sei denn, es handelt sich bei ihnen um Finanzsicherheiten iSd § 1 Abs. 17 KWG…“

§ 228 InsO – Änderung sachenrechtlicher Verhältnisse
Sollen Rechte an Gegenständen begründet, geändert, übertragen oder aufgehoben werden, so können die erforderlichen Willenserklärungen der Beteiligten in den gestaltenden Teil des Insolvenzplans aufgenommen werden. …“

Stichtag 01.07.2021 – Neues für Creditmanager

– Die neuen P-Konto-Freibeträge sind in Kraft:
Schuldner können (und müssen auch!) einen Berichtigungsantrag stellen!

– Die neue Lohnpfändungstabelle ist in Kraft:
Die neuen Pfändungsfreigrenzen sind vom Arbeitgeber von Amts wegen zu beachten, und zwar auch dann, wenn kein Berichtigungsantrag eingeht! Bekommt der Gläubiger zuviel ausbezahlt, kann der Schuldner wegen des Differenzbetrages Verzugszinsen und Verzugsschaden (also Anwaltsgebühren für das Aufforderungsschreiben!) geltend machen.

– Der Basiszinssatz bleibt unverändert bei -0,88 %
Ich darf allerdings daran erinnern, dass der Verzugszinssatz seit 2014 für Entgeltforderungen im b2b-Geschäft 9 Prozentpunkte über dem o.g. Basiszinssatz der EZB lautet (viele AGB sehen noch 8 Prozentpunkte vor!). Bei einem Zahlungsziel von 30 Tagen tritt erst am 61. Tag Verzug ein, d.h. die Verzugszinsen können auch erst ab dem 61. Tag berechnet werden.
Im b2b-Geschäft gewährt das Gesetz Ihnen allerdings vom Zeitpunkt der Lieferung an bis zum Eintritt des Verzugs einen Überbrückungszins in Höhe von 5 % fix (sog. „Fälligkeitszins„, §§ 352, 353 HGB). Dieser Zinszeitraum ist in den Formular-Mahnanträgen der Justizverwaltungen leider nicht vorgesehen. Diese Zinsen müssen deshalb später, nach Übergang ins Klageverfahren im Wege der Klageerweiterung gesondert eingeklagt werden.

Bei Forderungsanmeldungen im Insolvenzverfahren können Sie diese Fälligkeitszinsen aber durchaus mit geltend machen, auch wenn Sie das vorher noch nicht von Ihrem Schuldner beansprucht hatten. Sie müssen dazu nur die Fälligkeitsvoraussetzungen nachweisen (Übergabe der Ware, Zugang der Rechnung). Zahlungsziele hindern Sie daran jedenfalls nicht.

Forderungsabtretung und Durchsetzung von Gläubigerrechten als Inkassodienstleistung nach Insolvenz von Air Berlin zulässig

Urteil vom 13. Juli 2021 – II ZR 84/20

Der II. Zivilsenat hat heute entschieden, dass ein sogenanntes Sammelklage-Inkasso zulässig ist. In dem vorliegenden Fall wurden Gläubigerrechte, hier die Schadensersatzansprüche aus der Geschäftsführerhaftung wegen Insolvenzverschleppung (§ 15b InsO, früher: § 64 GmbHG), an das klagende Inkassounternehmen abgetreten und von diesem – gegen Provision – im Wege einer „Sammel“-Klage gerichtlich geltend gemacht.

Zu klären war hier zunächst die Frage, ob die Klage zulässig war, d.h., ob das Inkassounternehmen berechtigt war, sich Forderungen abtreten zu lassen und diese gegen Provision gerichtlich geltend zu machen.

Der BGH hat diese Befugnis dem Grundsatz nach bejaht, zur Provision allerdings keine Aussage getroffen. Eine Provisionsnahme ist Anwälten bislang nicht erlaubt.

Sachverhalt und Prozessverlauf:

Die Klägerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, ist als Rechtsdienstleisterin für Inkassodienstleistungen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG) registriert. Auf einer von ihr betriebenen Webseite warb sie dafür, Ansprüche gegen die zwischenzeitlich insolvente Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG auf Rückzahlung des Flugpreises gesammelt über sie geltend zu machen. Den Kunden sollten keine Kosten entstehen, die Klägerin im Erfolgsfall 35% der Nettoerlöse aus dem Forderungseinzug erhalten.

Aus abgetretenem Recht hat die Klägerin Schadensersatzansprüche von insgesamt sieben Kunden gegen den ehemaligen Geschäftsleiter der Air Berlin eingeklagt, da er verspätet Insolvenzantrag gestellt habe (Insolvenzverschleppung, Geschäftsführerhaftung, § 15b InsO). Die Kunden haben zwischen Mai und Juli 2017 Flüge bei Air Berlin gebucht und bezahlt, die aufgrund der Insolvenz nicht mehr durchgeführt wurden.

Die Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren in vollem Umfang weiter.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die hier zu beurteilende Tätigkeit der Klägerin von ihrer Befugnis gedeckt ist, Inkassodienstleistungen zu erbringen. Vom Inkassobegriff der § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG werden Geschäftsmodelle miterfasst, die ausschließlich oder vorrangig auf eine gerichtliche Einziehung der Forderung abzielen. Dies gilt auch für das sogenannte Sammelklage-Inkasso, bei dem mehrere Forderungen gesammelt und gebündelt gerichtlich geltend gemacht werden.

Weder dem Wortlaut noch der Systematik der § 1 Abs. 1 Satz 1, § 3 RDG lässt sich entnehmen, dass solche Inkassoformen keine zulässigen Rechtsdienstleistungen sind. Bei einer am Schutzzweck des Rechtsdienstleistungsgesetzes, die Rechtssuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen, orientierten Würdigung erfasst der Begriff der Inkassodienstleistung unter Berücksichtigung der Berufsausübungsfreiheit des Inkassodienstleisters (Art. 12 Abs. 1 GG) auch Inkassomodelle, die ausschließlich oder vorrangig auf die gerichtliche Einziehung von Forderungen abzielen, selbst wenn dazu eine Vielzahl von Einzelforderungen gebündelt werden.

Der Klägerin ist ihre Tätigkeit auch nicht wegen der Unvereinbarkeit mit einer anderen Leistungspflicht nach § 4 RDG verboten. Ein Interessenkonflikt, der eine entsprechende Anwendung des § 4 RDG auf den vorliegenden Fall rechtfertigen könnte, liegt nicht vor.

Da der Klägerin mit dem Sammelklage-Inkasso kein Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz zur Last fiel, war die zwischen den Kunden von Air Berlin und der Klägerin vereinbarte Abtretung wirksam. Der Bundesgerichtshof hat deshalb das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Kammergericht in Berlin zurückverwiesen, damit weitere Feststellungen zum Bestehen der mit der Klage geltend gemachten Ansprüche wegen Insolvenzverschleppung nachgeholt werden können.

Das Urteil in der Entscheidungssammlung des BGH als PDF: Urteil des II. Zivilsenats vom 13.7.2021 – II ZR 84/20

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

  • 1 Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) – Anwendungsbereich

(1) 1Dieses Gesetz regelt die Befugnis, in der Bundesrepublik Deutschland außergerichtliche Rechtsdienstleistungen zu erbringen. 2Es dient dazu, die Rechtsuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen.

[…]

  • 2 RDG – Begriff der Rechtsdienstleistung

(1) Rechtsdienstleistung ist jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert.

(2) 1Rechtsdienstleistung ist, unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1, die Einziehung fremder oder zum Zweck der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretener Forderungen, wenn die Forderungseinziehung als eigenständiges Geschäft betrieben wird (Inkassodienstleistung). […]

  • 3 RDG – Befugnis zur Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen

Die selbständige Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen ist nur in dem Umfang zulässig, in dem sie durch dieses Gesetz oder durch oder aufgrund anderer Gesetze erlaubt wird.

  • 4 Unvereinbarkeit mit einer anderen Leistungspflicht

Rechtsdienstleistungen, die unmittelbaren Einfluss auf die Erfüllung einer anderen Leistungspflicht haben können, dürfen nicht erbracht werden, wenn hierdurch die ordnungsgemäße Erbringung der Rechtsdienstleistung gefährdet wird.

  • 10 RDG Rechtsdienstleistungen aufgrund besonderer Sachkunde

(1) 1Natürliche und juristische Personen sowie Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, die bei der zuständigen Behörde registriert sind (registrierte Personen), dürfen aufgrund besonderer Sachkunde Rechtsdienstleistungen in folgenden Bereichen erbringen:

  1. Inkassodienstleistungen (§ 2 Abs. 2 Satz 1),

[…]

Vorinstanzen:

Landgericht Berlin – Urteil vom 31. Juli 2019 – 26 O 355/18

Kammgericht – Urteil vom 3. April 2020 – 14 U 156/19

Quelle:

Mitteilung der Pressestelle des Bundesgerichtshofs vom 13. Juli 2021

Urteil v. 6.5.2021 – BGH leitet Kehrtwende im Anfechtungsrecht ein

Vermutungen, Indizien und fragwürdige Erfahrungssätze – das waren die Säulen, auf denen die Insolvenzanfechtung nach § 133 InsO seit nunmehr über 15 Jahren beruht. Für die Insolvenzverwalter bedeutete das leichtes Spiel: Zielüberschreitungen und mehrfache Zahlungsstockungen reichten aus, um das Inkasso von bis zu 10 Jahren zunichte zu machen. Erhebliche Zahlungen mussten zurückgezahlt werden, obwohl die Leistung vereinbarungsgemäß erbracht war. Der Grund dafür lag in der Vermutung, dass ein Schuldner, der seine Zahlungsunfähigkeit kennt, mit der Zahlung an einen Gläubiger den Ausfall anderer Gläubiger vorsätzlich in Kauf nahm. Vorsatz setzt aber (positive) Kenntnis von der eigenen Zahlungsunfähigkeit im Rechtssinne und die sichere Annahme von den gläubigerschädigenden Folgen voraus. „Kann sein, dass hier Gläubiger geschädigt werden, ich zahle meinen Lieferanten aber auf jeden Fall“ oder „Da passiert nix“, das sind die Testfragen, mit denen Vorsatz von Fahrlässigkeit abgegrenzt wird. Das hatte im Anfechtungsrecht aber nie stattgefunden. Ob der Schuldner die objektive Zahlungsunfähigkeit, also die Unbehebbarkeit des Mangels an Zahlungsmitteln, tatsächlich kannte, oder ob er nur von einer vorübergehenden Zahlungsstockung, also von einem behebbaren Zustand, ausgegangen war, wurde nie näher untersucht. Die Gerichte waren immer der Meinung, dass ein Schuldner, der zahlungsunfähig war, diesen Umstand auch zu kennen hatte. Ob er nur von einer vorübergehenden Zahlungsstockung ausging, ob er die Definition des BGH überhaupt kannte (Unterdeckung von 10 % der fälligen Forderungen reicht aus), oder ob er von der betriebswirtschaftlichen Definition ausgegangen war (Liquidität 1., 2. und 3. Grades), das wurde nie untersucht. Ob dem Schuldner bewusst war, dass andere Gläubiger durch die konkrete Zahlung tatsächlich endgültig ausfallen werden, auch das wurde nie untersucht. Der Vorsatz des Schuldners war deshalb für die Anfechtungsgegner bisher kaum zu widerlegen.

Auch bei der Kenntnis des Geschäftspartners von diesem (angeblichen) Vorsatz war der BGH bisher sehr apodiktisch:

Zielüberschreitungen, Ratenzahlungsbitten, Vollstreckungsversuche, all das reichte als Indikator für eine Zahlungseinstellung aus; damit hatte der Geschäftspartner gleichzeitig Kenntnis von dem Vorsatz des Schuldners und wurde zur Rückzahlung von sämtlichen Zahlungseingängen aus dem Inkasso verurteilt.

Meine Kanzlei hatte in allen Anfechtungsprozessen die Meinung vertreten, dass es auf den Empfängerhorizont ankommt, auf die Gepflogenheiten im Geschäftsverkehr, vor allem aber auf die internen Mahn- und Insolvenzstatistiken ihrer Mandanten und die überwiegend positiven Erfahrungswerte mit Ratenzahlungsvereinbarungen in der Branche. Zu Recht, wie sich jetzt herausstellt:

Mit Urteil vom 6.5.2021 – IX ZR 72/20 – hat der BGH nun – in neuer und jüngerer Besetzung – ein Urteil des Landgerichts Bonn aufgehoben, weil weder der Vorsatz ausreichend dargelegt wurde noch ausreichende Indikatoren für eine Kenntnis des Zahlungsempfängers von diesem angeblichen Vorsatz vorhanden waren.

Mit diesem Urteil bestätigt der BGH seine neue Linie, von pauschalen Vermutungen abzurücken und auf das konkrete Bewusstsein des Schuldners und auch des Anfechtungsgegners abzustellen. Bereits im Jahr 2019 hatte der BGH vorsichtig begonnen, das Bewusstsein des Schuldners näher untersuchen zu lassen (BGH-Urteile IX ZR 238/18, 258/18, 259/18 und 264/18). Daran könne es fehlen, so der BGH, wenn der Schuldner sich vorgestellt hatte, durch die Zahlungen werde das Vermögen des Unternehmens künftig angereichert, etwa durch Ausgleichszahlungen aus der Urlaubskasse der SOKA-Bau. In dem Fall 264/18 war der Schuldner möglicherweise davon ausgegangen, dass sein Guthaben unpfändbar war und der künftigen Masse also gar nicht zuzurechnen war. Die Rechtsstreitigkeiten wurden jeweils an die Ursprungsgerichte zur näheren Aufklärung zurückverwiesen. So jetzt auch in dem Fall des LG Bonn.

Der BGH hat diese Tendenz jetzt aber nicht nur im Hinblick auf den fehlenden Vorsatz des Schuldners verfestigt: Auch im Hinblick auf die Erkenntnismöglichkeiten des Geschäftspartners und Zahlungsempfängers stellt der BGH jetzt erstmalig klar, dass es insoweit auf den Erkenntnishorizont des Anfechtungsgegners ankommt. Hierzu muss natürlich vorgetragen werden.

Und last but not least:

Eine nur drohende Zahlungsunfähigkeit ist kein geeigneter Indikator für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz!

Damit wendet der BGH die Anfechtungsreform auch auf Alt-Fälle an, wonach die drohende Zahlungsunfähigkeit bei kongruenter Deckung nicht ausreichend ist (§ 133 Abs. 3 n.f. InsO).

Hier sind die Leitsätze:

a) Die Annahme der subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung kann nicht allein darauf gestützt werden, dass der Schuldner im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung objektiv zahlungsunfähig ist.

b) Der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners setzt im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit zusätzlich voraus, dass der Schuldner im maßgeblichen Zeitpunkt wusste oder jedenfalls billigend in Kauf nahm, seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht vollständig befriedigen zu können; dies richtet sich nach den ihm bekannten objektiven Umständen.

c) Für den Vollbeweis der Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners muss der Anfechtungsgegner im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit des Schuldners im maßgeblichen Zeitpunkt zusätzlich wissen, dass der Schuldner seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht wird befriedigen können; dies richtet sich nach den ihm bekannten objektiven Umständen.

d) Auf eine im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung nur drohende Zahlungsunfähigkeit kann der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners in der Regel nicht gestützt werden.

e) Eine besonders aussagekräftige Grundlage für die Feststellung der Zahlungseinstellung ist die Erklärung des Schuldners, aus Mangel an liquiden Mitteln nicht zahlen zu können; fehlt es an einer solchen Erklärung, müssen die für eine Zahlungseinstellung sprechenden sonstigen Umstände ein der Erklärung entsprechendes Gewicht erreichen.

f) Stärke und Dauer der Vermutung für die Fortdauer der festgestellten Zahlungseinstellung hängen davon ab, in welchem Ausmaß die Zahlungsunfähigkeit zutage getreten ist; dies gilt insbesondere für den Erkenntnishorizont des Anfechtungsgegners.

Der Erkenntnishorizont des Anfechtungsgegners ist damit zum zentralen Element der Vorsatzanfechtung geworden. Sämtliche Anfechtungsprozesse, die noch nicht entschieden sind, müssen jetzt auf diese Rechtsprechung eingestellt werden.

Diese Kehrtwende in der BGH-Rechtsprechung war angekündigt worden, aber sie war wohl erst durch einen Personalwechsel im Senat möglich geworden.

Künftig dürfen noch weitere Änderungen erwartet werden, etwa bei der Annahme, die Geschäftstätigkeit des Schuldners sei bereits für sich genommen ein ausreichender Indikator für die Benachteiligung anderer Gläubiger. Diese Logik hat sich mir nie erschlossen. Insbesondere Stromlieferanten, Verbundgruppen, Einkaufsgenossenschaften etc. machen regelmäßig die Erfahrung, dass ihre Forderungen die größten Einzelforderungen sind, dass sie deshalb vorrangig um Warenkredit gebeten werden, wogegen die übrige Geschäftstätigkeit des Schuldners störungsfrei abläuft.

Durch dieses neue, wegweisende Urteil des BGH wird es den Insolvenzverwaltern künftig nicht mehr gelingen, redlich verdiente Zahlungsrückläufe über Jahre hinweg mit einem Zweizeiler erfolgreich anzugreifen.

Bitte überprüfen Sie Ihre laufenden Anfechtungsprozesse jetzt und achten Sie darauf, dass dieses neue BGH-Urteil den unteren Instanzen zur Kenntnis gebracht wird.

Meine Kanzlei ist auf die Abwehr von Anfechtungsansprüchen spezialisiert und berät Sie gern, auch bei der Rückforderung bereits freiwillig gezahlter Leistungen.

Hier finden Sie das Urteil BGH, IX ZR 72/20 vom 06.05.2021 im Original:

https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=8b5e186568aee869890e380f97ac4d03&nr=119863&pos=0&anz=1

Und hier § 133 n.F. InsO:

https://www.gesetze-im-internet.de/inso/__133.html

Bonn, den 08.07.2021

Rechtsanwältin Barbara Brenner

 

 

OLG Schleswig-Holstein vom 2.7.2021 – Schufa muss Informationen über die Restschuldbefreiung eines Insolvenzschuldners früher löschen

OLG Schleswig-Holstein vom 2.7.2021 – 17 U 15/21

>>>> Die Schufa darf Daten eines ehemaligen Insolvenzschuldners nicht länger verwerten als sie im Portal „www.insolvenzbekanntmachungen.de“ veröffentlicht sein dürfen. Speichert und verarbeitet die Schufa diese Daten aus dem Insolvenzbekanntmachungsportal ohne gesetzliche Grundlage länger als in der Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet (InsoBekVO) vorgesehen ist, dann hat der ehemalige  Insolvenzschuldner einen Löschungsanspruch gegen die Schufa Holding AG.

Der Sachverhalt:

Über das Vermögen des Klägers wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und schließlich wurde ihm am 11.9.2019 durch das Insolvenzgericht die Restschuldbefreiung erteilt. Diese Information wurde im amtlichen Internetportal veröffentlicht. Die Schufa kopierte die Daten von dort und pflegte sie in ihren Datenbestand ein, um Vertragspartnern diese Daten bei Auskunftsanfragen zum Kläger mitzuteilen. Der Kläger begehrte die Löschung der Daten von der Schufa, da die Verarbeitung zu erheblichen wirtschaftlichen und finanziellen Nachteilen bei ihm führe. Eine uneingeschränkte Teilhabe am Wirtschaftsleben sei ihm nicht möglich. Er könne aufgrund des Eintrags kein Darlehen aufnehmen, keinen Mietkauf tätigen und keine Wohnung anmieten. Derzeit könne er nicht einmal ein Bankkonto eröffnen. Die Schufa wies die Ansprüche des Klägers zurück und verwies darauf, dass sie die Daten entsprechend den Verhaltensregeln des Verbandes „Die Wirtschaftsauskunfteien e.V.“ erst drei Jahre nach Speicherung lösche. Die Daten seien bonitätsrelevante Informationen und daher für die Vertragspartner der Schufa von berechtigtem Interesse.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers vor dem OLG Schleswig hatte dagegen Erfolg.

Aus folgenden Gründen:

Der Kläger kann von der Schufa die Löschung der Daten sechs Monate nach Rechtskraft der Entscheidung des Insolvenzgerichts über die Restschuldbefreiung verlangen, denn nach Ablauf dieser Frist steht die weitere Verarbeitung durch die Schufa im Widerspruch zu § 3 Abs. 2 der Insolvenzbekanntmachungsverordnung (InsoBekVO) und ist daher nicht mehr rechtmäßig i.S.v. Art. 6 Abs. 1 lit. f) der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO). Werden die Daten des Klägers unrechtmäßig verarbeitet, kann er regelmäßig die Löschung dieser Information nach Art. 17 Abs. 1 lit. d) DS-GVO verlangen und hat einen Anspruch auf künftige Unterlassung dieser Datenverarbeitung. Die Schufa kann sich nicht darauf berufen, dass die Datenverarbeitung rechtmäßig sei, da sie ihren oder den berechtigten Interessen von Dritten diene. Ein Interesse kann nur dann berechtigt sein, wenn es nicht im Widerspruch zur Rechtsordnung oder den Grundsätzen von Treu und Glauben steht. Die Verarbeitung durch die Schufa steht aber nach Ablauf der gesetzlichen Löschungsfrist im Widerspruch zur gesetzlichen Wertung von § 3 Abs. 2 InsoBekVO, wonach die Information zur Entscheidung über die Restschuldbefreiung nur sechs Monate im Internetportal zu veröffentlichen ist. Die Verarbeitung und Weitergabe dieser Information an eine breite Öffentlichkeit durch die Beklagte kommt einer Veröffentlichung im Internet gleich und ist daher nach Ablauf der gesetzlichen Löschungsfrist zu unterlassen. Die Schufa kann sich nicht auf die Verhaltensregeln des Verbandes der Wirtschaftsauskunfteien berufen. Diese Verhaltensregeln entfalten keine Rechtswirkung zulasten des Klägers und stehen im Widerspruch zur gesetzlichen Wertung.

Das OLG hat allerdings die Revision zum BGH zugelassen, d.h. das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Quelle: © Verlag Dr. Otto Schmidt KG

https://online.otto-schmidt.de/

 

 

 

Pfändungsfreigrenzen werden ab dem 1.7.2021 deutlich erhöht

Zum 01.07.2021 werden die Pfändungsfreibeträge nach § 850c ZPO um 6,28% erhöht. Dies gilt spiegelbildlich auch im Privatinsolvenzverfahren und im Regelinsolvenzverfahren für Freiberufler und andere Selbständige.

Der Pfändungsgrundfreibetrag nach § 850c ZPO beträgt nun 1.252,64 € (bisher 1.178,59 €). Die Erhöhungsbeiträge für Unterhaltspflichten betragen nun 443,57 € für die erste Unterhaltspflicht und je 262,65 € für die zweite bis fünfte Unterhaltspflicht.

Amtliche Pfändungstabelle 2021 (Auszug aus dem Bundesgesetzblatt)

Arbeitgeber müssen die Pfändungsfreigrenzen bei einer Lohnpfändung von Amts wegen beachten und den abzuführenden Betrag selbst neu ausrechnen.

Dazu finden Sie hier zwei praktische Arbeitshilfen:

Übersichtstabelle in 100er-Schritten der LAG Schuldnerberatung Hamburg für die Praxis

Excel-Pfändungsrechner der LAG Schuldnerberatung Hamburg

Überbrückungshilfe III Plus: Bund sponsort Anwalts- und Gerichtskosten für außergerichtlichen Restrukturierungsplan

„Überbrückungshilfe III Plus“ oder Außergerichtlicher Restrukturierungsrahmen: Bundesregierung verlängert und erhöht nicht nur die Corona-Überbrückungshilfen, sondern stellt (alternativ) auch Anwalts- und Gerichtskosten von bis zu 20.000 Euro pro Monat (!) für die insolvenzabwendende Restrukturierung von Unternehmen in einer drohenden Zahlungsunfähigkeit zur Verfügung!

Berlin, 09.06.2021 – Die Bundesregierung hat die Verlängerung und Erhöhung der Corona-Wirtschaftshilfen bis zum 30. September 2021. Der Staat zahlt denjenigen Unternehmen eine Restart-Prämie, die Mitarbeiter früher aus der Kurzarbeit holen oder Beschäftigte neu einstellen. Und schließlich wird die Neustarthilfe für Soloselbständige auf bis zu 12.000 Euro für die ersten drei Quartale dieses Jahres verlängert und erhöht.

Die Bundesregierung erhöht auch die Obergrenze für die Förderung im Rahmen der „Überbrückungshilfe III“ und der „Überbrückungshilfe III Plus“. Künftig können Unternehmen, die von staatlichen Schließungsmaßnahmen direkt oder indirekt betroffen sind, bis zu 40 Mio. Euro als Schadensausgleich im Rahmen der Überbrückungshilfe geltend machen. Grundlage dafür ist die „Bundesregelung Schadensausgleich“, die von der Europäischen Kommission auf Antrag der Bundesregierung hin genehmigt wurde. Zusammen mit der bislang geltenden Obergrenze von bis zu 12 Mio. Euro beträgt der maximale Förderbetrag künftig in der „Überbrückungshilfe III“ und der „Überbrückungshilfe III Plus“ 52 Mio. Euro.

Bundeswirtschaftsminister Altmaier versteht das als ein wichtiges Signal, damit alle Unternehmen nach der Krise wieder Gas geben können. Aber können sie das oder stehen sie dann vor einem unüberwindlichen Berg von Schulden. Soll die Insolvenzwelle damit nur auf die Zeit nach der Wahl verschoben werden?

Sollten Unternehmer*innen jetzt also weitere Überbrückungshilfen in Anspruch nehmen, oder ist es Zeit für einen vorausschauenden – außergerichtlichen – Schuldenerlass?

Die Bundesregierung stellt Hilfen für beides zur Verfügung: Der Staat gewährt nicht nur weitere Überbrückungshilfen bis September, sondern ersetzt über das Programm „Restrukturierungshilfe III Plus“ alternativ auch Anwalts- und Gerichtskosten von bis zu 20.000 Euro pro Monat (!) für die insolvenzabwendende Restrukturierung von Unternehmen in einer drohenden Zahlungsunfähigkeit.

https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2021/06/20210609-bundesregierung-verlaengert-ueberbrueckungshilfen-bis-september.html

Wenn die anderen nach dem Auslaufen der Überbrückungshilfen am Ende der Liquiditätskrise angekommen sind, segeln frisch schuldbefreite Unternehmer*innen mit ihrem Unternehmen elegant an den anderen vorbei: Gut ausgeschlafen, weil ohne privates Haftungsrisiko und ohne Angst vor dem Staatsanwalt. Wie hätten SIE es gern?

Sprechen Sie uns an, wir schauen uns Ihre Situation unverbindlich an. Sie entscheiden.

COVInsAG: Wer ist eigentlich von der Insolvenzantragspflicht derzeit befreit?

Schätzungsweise nur rund 20 Prozent der Unternehmen sind tatsächlich berechtigt, die Antragspflicht auszusetzen.

Trotzdem wird von der Regierung gern der Eindruck vermittelt, dass niemand einen Insolvenzantrag stellen muss, wenn er wegen der Corona-Krise zahlungsunfähig oder überschuldet ist. Das Gegenteil ist leider der Fall!

Zitat: Patrik-Ludwig Hantzsch, Pressesprecher Leiter Wirtschaftsforschung Creditreform, im Interniew mit der WELT online vom 04.03.2021

Woran liegt das?

Nun, der Gesetzgeber hat die Geschäftsführer und Vorstände nur unter ganz engen Bedingungen trotz Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung von der Insolvenzantragspflicht befreit. Dafür müssen die Geschäftsführer und Vorstände noch Jahre später nachweisen können, dass ihr Unternehmen am 31.12.2019 noch völlig gesund, also weder drohend zahlungsunfähig noch überschuldet war, und dass es im Übrigen nachhaltig sanierungsfähig war. Dafür müssen sie dermaleinst eine belastbaren Liquiditätsstatus per 31.12.2019 vorlegen können sowie eine belastbare Liquiditätsplanung für die kommenden 24 Monate, und zwar  unter Einbeziehung der Bezahlung der Rückstände und der Zinsen. Diese Bedingungen erfüllen die meisten betroffenen Unternehmen gar nicht, und das wußte die Bundesregierung auch, als sie das Gesetz entworfen hat:

Nach Einschätzung der Bundesregierung wird sich die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im Jahr 2021 deutlich erhöhen. Aktuelle Experteneinschätzungen (z.B. Bundesbank, IW Köln, Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, Creditreform) gehen davon aus, dass die Zahl der Unternehmensinsolvenzen gegenüber dem Jahr 2019 […] um eine vierstellige, gegebenenfalls sogar niedrige fünfstellige Zahl an Unternehmensinsolvenzen ansteigen könnte. […].

Zitat: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der FDP-Fraktion vom 25.01.2021, BT-Drucksache 19/26094

Die Bundesregierung handelte also mit Vorsatz, als sie die Lockdown-Entscheidungen getroffen hat. Man kann nur hoffen, dass kein milderes Mittel zur Verfügung stand, sonst hagelt es Schadensersatzansprüche, und die Insolvenzverwalter sind nicht dafür bekannt, dass sie bei der Realisierung von Schadensersatzansprüchen zimperlich vorgehen.

Gefährlich ist das aber nur für GmbH-Geschäftsführer, Vorstände von Aktiengesellschaften etc. Diese geraten durch den Irrtum, es gebe eine generelle Suspendierung der Insolvenzantragspflichten in eine gefährliche persönliche Schieflage, denn die Insolvenzordnung ist unerbittlich:

  • Sie haften persönlich für sämtliche Ausgaben, die die Gesellschaft getätigt hat (§ 15b InsO),
  • sie haften persönlich für Steuerrückstände (§ 69 AO),
  • sie haften persönlich für rückständige Arbeitnehmeranteile an der Sozialversicherung und werden dafür sogar noch strafrechtlich verfolgt, sind also vorbestraft (§ 266a StGB).

Das möchten Sie nicht. Nutzen Sie also lieber bequem die Vorteile eines Insolvenzverfahrens für den Schuldenabbau, haften Sie niemals persönlich und machen Sie sich auch lieber nicht strafbar. Nutzen Sie Fördergelder lieber für einen Neustart als für eine Tilgung von Schulden, die aus der Pandemie herrühren, und wenn Sie dadurch ein blühendes Unternehmen verloren haben, nehmen Sie den Staat auf Schadensersatz in Anspruch!

Als Haftungs“partner“ für die Insolvenzverwalter kommen übrigens neuerdings auch gerne die Steuerberater in Betracht, die den Jahresabschluss 2020 auch in Corona-Zeiten möglicherweise zu Unrecht unter Fortführungs-Ansätzen aufstellen. Hierzu hat der BGH im Jahre 2017 erstmals deutlich Stellung bezogen:

Besteht ein Insolvenzgrund, weil sie (Anm.: die Gesellschaft) überschuldet oder zahlungsunfähig ist, liegen regelmäßig tatsächliche Gegebenheiten im Sinne des § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB vor, die der Regelvermutung einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit entgegenstehen. Er (Anm.: der Steuerberater) darf jedoch dem von ihm erstellten Jaresabschluss keine Fortführungswerte zugrunde legen, wenn auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Informationen die Vermutung des § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB entweder widerlegt erscheint oder ernsthafte Zweifel bestehen, die nicht ausgeräumt werden. (…) Dabei darf er sich nicht auf bloße Aussagen der Geschäftsführer oder der Gesellschaft ohne sachlichen Gehalt verlassen.

BGH, Urt. v. 26.01.2017 – IX ZR 285/14

Seitdem bereitet es den Verwalterkanzleien großes Vergnügen, neben dem Geschäftsführer immer auch den Steuerberater / die Steuerberaterin des Unternehmens in Mithaftung zu nehmen, denn es geht oft um 6-stellige Beträge. Und die Steuerberater sind immerhin entsprechend liquide, zumindest aber versichert, nimmt man an.

Aber Vorsicht Allianz versichert: Die Allianz nimmt gerne Vorsatz an, wenn der Steuerberater Pflichten, die ihm ja bekannt sind, verletzt, denn bei Vorsatz muss sie nicht einstehen. Aus diesem Grunde und sie lehnt die Haftung textbausteinmäßig wegen vorsätzlicher Pflichtverletzung ab. SO macht man Gewinne!

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