„Si tacuisses!“ oder: „Wer im Glashaus sitzt, soll nicht so laut brüllen“

Bei der Forderungsdurchsetzung gegen einen akut insolvenzgefährdeten Geschäftspartner kann ein insolvenzrechtlich unerfahrener Anwalt nur Fehler machen. Dies hat jetzt ein Anleger-Anwalt erfahren, der sich mit dem Insolvenzrecht ganz offensichtlich nicht auskannte.

In einem vom BGH jetzt entschiedenen Schadensersatzfall eines Mandanten gegen seinen Anwalt ging es um eine Fondsgesellschaft, die ein Schneeballsystem entwickelt und damit eine Vielzahl von Anlegern vorsätzlich geschädigt hatte („Göttinger Gruppe“). Der betroffene Anwalt hatte das Mandat von einer Vielzahl von Anlegern, deren Interessen er gegenüber der Fondsgesellschaft zu vertreten hatte. Er war insbesondere beauftragt, längst überfällige Ausschüttungen zu realisieren. Für den hiesigen Kläger hatte er artig einen Auszahlungstitel erstritten. Anstatt aber dann auch gleich die Zwangsvollstreckung zu betreiben und auf die 3-monatige Anfechtungsfrist zu spekulieren, schloss er 4 Monate später und an Stelle der Zahlungen mit der Fondsgesellschaft eine Vertrag über Verpfändung von Aktien. Die Aktien wurden 1 Jahr später veräußert und seine Mandanten erhielten im Ergebnis € 5 Mio. ausgeschüttet, was aber nur einem Bruchteil der fälligen Forderungen entsprach.

Weitere 6 Monate später beantragte er für einen mitvertretenen Gläubiger deshalb die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die Betrugsgesellschaft. In dem Antrag legte er ausführlich dar, dass und warum die Gesellschaft bereits seit mindestens 1 Jahr insolvenzreif war. Damit hatte er sich und seinen Anlegern ein doppeltes Grab geschaufelt:

  • Zum einen hätte er die Mandanten darauf aufmerksam machen und es ihnen überlassen müssen, ob sie die Kosten für die Titulierung trotzdem aufbringen wollten. Das hat jedenfalls der BGH in seinem Urteil vom 07.09.2017, Az. IX ZR 71/16 entschieden. Das ist jetzt nicht so furchtbar überraschend.
  • Viel schlimmer war die Entscheidung, den Insolvenzantrag zu stellen. Das hätte er besser gelassen, denn dadurch hat er dem Insolvenzverwalter gegenüber dokumentiert, dass er bei Realisierung der € 5 Mio. bereits seit geraumer Zeit positive Kenntnis von der Zahlungseinstellung hatte. Diese Kenntnis wurde den Mandanten zugerechnet. Da die Verpfändung von Aktien an Stelle der Zahlungen des weiteren inkongrunet war, hatte er das Anfechtungsgrab für seine Anleger geschaufelt und der Insolvenzverwalter musste nur noch den Sargdeckel draufmachen.

„Die Anfechtbarkeit von Rechtshandlungen einerseits und von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen andererseits hat der Anwalt zu kennen“, so der BGH. Er hat den Fall zurückverwiesen, weil noch nicht geklärt war, ob eine zügige Zwangsvollstreckung ebenfalls zur alsbaldigen Insolvenzverfahren geführt hätte oder ob die Betrugsfirma zumindest noch die 3-Monatsfrist überlebt hätte. Die Fallgestaltung sprach dafür.

FAZIT:

Wer in der Insolvenznähe eines Schuldners taktische Anträge stellt, sollte sich besser sehr gut auskennen mit dem Insolvenzverfahren oder die Füße stillhalten. „Si tacuisses“, wie der Lateiner sagt, oder auf Deutsch: Schweigen wäre hier mal wieder Gold gewesen.

FG Münster v 07.09.2017: USt-Organschaft endet auch bei Eigenverwaltung mit der Bestellung des vorl. Sachwalters

USt-Organschaft endet auch im Insolvenzverfahren mit Eigenverwaltung (§ 270a InsO) bereits im Antragsverfahren, und zwar mit der Bestellung des vorl. Sachwalters, obwohl dieser noch weniger Geschäftsführungsbefugnisse hat wie der vorläufige Insolvenzverwalter im Regel-Antragsverfahren.

Das meint jedenfalls das FG Münster, Az. 5 K 3123/15 U, hat die Revision allerdings zugelassen:

https://www.justiz.nrw.de/nrwe/fgs/muenster/j2017/5_K_3123_15_U_Urteil_20170907.html

Gesetz zur Steuerbefreiung von Sanierungsgewinnen verabschiedet

Der Gesetzgeber am 27.06.2017 noch rechtzeitig vor der Sommerpause (und knapp vor dem Ende der Legislaturperiode) die Steuerbefreiung für Sanierungsgewinne gesetzlich geregelt. Bislang gab es dafür nur einen Ministerialerlass, den der Bundesfinanzhof für rechtswidrig gehalten hatte (BFH, Urteil v. 28.11.2016 – GrS 1/15). Daraufhin konnten sämtliche Insolvenzpläne, die typischerweise einen umfangreichen Forderungserlass zum Inhalt haben, nicht mehr rechtssicher kalkuliert werden.

Mit dem Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen vom 27.06.2017 (BGBl. I 2017, S. 2074 ff.) hat der Gesetzgeber nun nicht nur die Gesetzeslücke um die „cum-ex“-Geschäfte geschlossen, sondern auch die Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen endlich auch gesetzlich geregelt (Art. 2 des Gesetzes).

In § 3a Abs. 1 n.F. EStG heißt es deshalb künftig:

„Betriebsvermögensmehrungen oder Betriebseinnahmen aus einem Schuldenerlass zum Zwecke einer unternehmensbezogenen Sanierung im Sinne des Absatzes 2 (Sanierungsertrag) sind steuerfrei.“

Und bei der Skala des Verlustverbrauchs gem. § 3a Abs. 3 n.F. EStG heißt es in Ziff. 4:

„Bei der Verlustermittlung [nach § 15b EStG, Anm. d.R.] bleibt der Sanierungsertrag künftig unberücksichtigt.“

Das Gesetz wurde am 4. Juli 2017 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Es tritt allerdings erst in Kraft, sobald die EU-Kommission festgestellt hat, dass diese Regelung eine mit dem Binnenmarkt vereinbare staatliche Beihilfe darstellt.

Und was passiert mit den Alt-Fällen?

Der BFH hat am 23.08.2017 ausgeurteilt, dass für Altfälle, also für Fälle, in denen ein Sanierungsgewinn dadurch entstanden ist, dass die Schulden vor dem 09.02.2017 erlassen worden sind, weder eine Einkommensteuerbefreiung dieses Sanierungsgewinns nach § 3a EStG n.F. noch eine Billigkeitsmaßnahme nach den BMF-Schreiben vom 27.03.2003 oder vom 27.04.2017 in Betracht kommen.

(BFH, Urt. v. 23.08.2017 – X R 28/15)

In dem neuen Gesetz gibt es folgende Regelung dazu:

§ 52 EStG wird wie folgt geändert:

a) Nach Absatz 4 wird folgender Absatz 4a eingefügt:

„(4a) § 3a in der Fassung des Artikels 2 des Gesetzes vom 27. Juni 2017 (BGBl. I S. 2074) ist erstmals in den Fällen anzuwenden, in denen die Schulden ganz oder teilweise nach dem 8. Februar 2017 erlassen wurden.
Satz 1 gilt bei einem Schuldenerlass nach dem 8. Februar 2017 nicht, wenn dem Steuerpflichtigen auf Antrag Billigkeitsmaßnahmen aus Gründen des Vertrauensschutzes für einen Sanierungsertrag auf Grundlage von § 163 Absatz 1 Satz 2 und den §§ 222, 227 der Abgabenordnung zu gewähren sind.“

Hier ist der Link zum Gesetz:

https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?start=%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl117s2074.pdf%27%5D#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl117s2074.pdf%27%5D__1505922601936

Toys’R’Us beantragt Gläubigerschutz in USA und Canada

Der amerikanische Spielzeughersteller Toys’R’Us hat gestern abend an seinem Sitz in Wayne/New Jersey Gläubigerschutz nach Capter 11 des US Insolvency Code* beantragt, und das mitten in den Vorbereitungen für das Weihnachtsgeschäft. Das Unternehmen hat langfristige Verbindlichkeiten in Höhe von 5 Mrd. USD angehäuft, die es regulieren muss. Dafür hat es einen neuen Kredit über 3 Mrd. USD von seinen Hausbanken erhalten, um das Weihnachtsgeschäft zu finanzieren. Diese Kreditaufnahme muss allerdings noch von dem zuständigen Bundesgericht genehmigt werden, was allerdings als sicher gilt. Derweil kann das Unternehmen weiter am Markt operieren und braucht in dieser Periode keine Alt-Verbindlichkeiten zu zahlen, also auch keinen Kapitaldienst zu leisten.

Das Unternehmen ist im Besitz der beiden Investmentfonds KKR und Bain Capital, die das Unternehmen 2005 für 6,6 Mrd. USD übernommen hatten. Offenbar hatte der Kapitaldienst das Unternehmen derart ausgeblutet, dass es keine Entwicklungsmöglichkeiten mehr hatte und „ausgebremst wurde“, so der managing director des größten Marken-Einzelhändlers, Dave Bandon. Das Management geht davon aus, dass das Unternehmen fortgeführt werden wird und die finanziellen Alt-Verpflichtungen so geregelt werden, dass das Unternehmen langfristig wirtschaftlich arbeiten kann. Das operative Geschäft außerhalb der USA und Canadas ist von der Insolvenz nicht betroffen.

Hier sind die Einzelheiten aus der französischen Presse:

http://www.lemonde.fr/entreprises/article/2017/09/19/le-geant-des-jouets-toys-r-us-se-declare-en-faillite_5187682_1656994.html

*Das Verfahren entspricht in etwa dem Schutzschirmverfahren nach § 270a der deutschen Insolvenzordnung, allerdings wird es im Unterschied zum deutschen verfahren vono einem amerikanischen Bundesgericht streng überwacht und die Entscheidungen des managements müssen gerichtlich genehmigt werden. In Deutschland ist eine gerichtliche Überwachung nicht vorgesehen.

Anfechtungsrecht: Unternehmen dürfen hoffen – Zwangsvollstreckung nun doch kein ausreichendes Indiz mehr für Zahlungsunfähigkeit

Nachdem der BGH am 1. Juni 2017 eine Zwangsvollstreckung des Finanzamts noch lediglich unter dem Aspekt der Rechtshandlung (ablehnend) gewürdigt hatte, hat er kurz darauf in gleich zwei aufeinanderfolgenden Entscheidungen erkannt, dass die Zwangsvollstreckung für sich allein genommen nun doch kein ausreichend sicheres Indiz für eine (drohende) Zahungseinstellung des Kunden mehr ist, und zwar weder in Form der Einmal-Zahlung (Urteil vom 22.06.2017 Az. IX ZR 111/14) noch in Form einer Ratenzahlungsvereinbarung mit dem Gerichtsvollzieher nach § 806b a.F. ZPO (Urteil vom 06.07.2017 Az. IX ZR 178/16 ). Und das, obwohl vor der Zwangsvollstreckung in beiden Fällen selbstverständlich das gesamte Mahn- und Droh-Programm abgespult worden war.

In dem Fall vom 22.06.2017 hatte der Kunde sogar zunächst eine Abschlagszahlung wie verlangt pünktlich bezahlt, die zweite Zahlung konnte er aber schon nur noch teilweise und auch nicht pünktlich bezahlen, und die übrig gebliebene Restsumme mußte angemahnt, tituliert und sodann vollstreckt werden. Das OLG Dresden hatte das Unternehmen denn auch zur Rückzahlung verurteilt und das war ja auch jahrelang der BGH-Klassiker für eine Zahlungsunfähigkeit! Jetzt nicht mehr.

Der BGH konzediert endlich, dass es für eine Nicht-Zahlung von titulierten Ansprüchen auch andere Gründe gibt als nur den Mangel an Zahlungsmitteln, z.B. Nachlässigkeit (na ja!). Deshalb sei die Zwangsvollstreckung kein ausreichend sicheres Indiz mehr für eine eingetretene oder bevorstehende Zahlungsunfähigkeit. Hört, hört!

Das Ergebnis ist richtig, der Weg vielleicht nicht ganz. ABER:

Ganz am Rande wird vorsichtig und zaghaft ein ganz anderer – und wie ich meine wesentlicher – Aspekt (endlich) angesprochen:

In erfrischend juristischen Ausführungen legt der Senat dar, dass es in § 133 Abs. 1 InsO gar nicht darum geht, den – durch die ZPO gesetzlich ausdrücklich erlaubten (!) – Wettlauf der Zwangsvollstreckungen zu korrigieren (first strike – first go); das werde bereits durch §§ 130 – 131 InsO abschließend erledigt (meine Rede!). § 133 Abs. 1 InsO korrigiere lediglich einen unfairen Vorteil, den ein Gläubiger sich mit Hilfe des Schuldners in diesem Wettlauf gegenüber anderen Gläubigern verschafft habe. DA liegt also der Hase im Pfeffer!

Was ist passiert? Ein Personalwechsel?

Es sieht ganz so aus: Das Urteil wurde von Herrn RiBGH Dr. Schoppmeyer mit verfasst, der genau diese Systematik des § 133 InsO bereits in einem sehr lesenswerten Aufsatz in der NZI 4/2005, S. 185 ff. („Besondere und allgemeine Insolvenzanfechtung am Beispiel der Anfechtung von Zwangsvollstreckungen“) erstmalig in dieser Klarheit herausgearbeitet hatte, damals noch als Richter am OLG Karlsruhe. Seit einiger Zeit ist er nun beim BGH tätig und seitdem lesen sich manche von ihm mit unterschriebenen Urteile erfrischend juristisch!

Das nachfolgende Urteil vom 6.7.2017 wurde zwar nicht mehr von ihm mit verfasst, aber die übrigen Richter beziehen sich ausdrücklich auf die Vor-Entscheidung und folgen dieser in jedem Punkt. (Eventuell muss man bei den Rechtsmitteln nicht mehr unbedingt auf die Besetzung des Senats schielen…) Allerdings war hier die Besonderheit, dass es sich um einen erstmaligen Kundenkontakt und um eine relativ geringfügige Forderung gehandelt hatte, die nur im Wege der Raten-Vollstreckung erledigt werden konnte. Die Vorinstanz (LG Köln) hatte dies bereits ebenso gesehen und das wurde vom BGH auch so bestätigt.

Mein Rat:

Künftig wird es den Verwaltern also darum gehen, den unfairen Vorteil herauszuarbeiten, den Sie sich gegenüber anderen Gläubigern angeblich verschafft haben. Da kommt einer beherrschenden Stellung und der Drohung mit der Einstellung der Belieferung sicherlich wieder eine gewisse Bedeutung zu, aber eben NICHT die Einstellung der Belieferung wegen der Einhaltung des internen Kreditlimits! Das ist etwas völlig anderes! Es bleibt jetzt abzuwarten, wo der BGH genau die Fairness-Grenze zieht.

Verfolgen Sie Ihre Abwehrstrategie also unbedingt bis zum BGH weiter! Auch wenn es sich nicht um einen Vollstreckungsfall handelte. Lassen Sie sich nicht durch Verurteilungen von LG und OLG entmutigen (insbesondere nicht vom OLG Dresden!). Verteidigen Sie sich rechtzeitig und richtig und halten Sie dann durch – es könnte sich auch in Ihrem Fall lohnen.

Geben Sie mir Ihre Fälle gern zur Überprüfung herein; eine kursorische Einschätzung erhalten Sie von mir kostenlos!

Wann ist ein Bargeschäft trotz Kenntnis von Zahlungsunfähigkeit unanfechtbar?

Nichts ist sicher im Insolvenzanfechtungsrecht, nicht einmal das Bargeschäft! Was der vorläufige Insolvenzverwalter darf, nämlich Einkäufe tätigen um den Betrieb einstweilen fortzuführen, darf der Schuldner noch lange nicht. Und büßen muss es der Lieferant, der am Ende kostenlos geliefert haben wird, ohne es zu wissen. Zwar entfällt beim Bargeschäft schon per definitionem die gläubigerbenachteiligende Wirkung (die ein zwingendes Tatbestandsmerkmal jeder Anfechtung ist und vom Insolvenzverwalter zu beweisen ist); denn ein Bargeschäft liegt erst dann vor, wenn eine wertausgleichende Zahlung für eine gleichwertige Lieferung geleistet wurde, und zwar zeitnah, also innerhalb des vereinbarten Zahlungsziels.

Trotzdem wurden auch Bargeschäfte regelmäßig angegriffen, und mit Erfolg: Der BGH hat den Regelsatz aufgestellt, dass die Gläubiger auch dann – mittelbar – benachteiligt werden, wenn der Wertausgleich der konkreten Transaktion zwar positiv ist, das Unternehmen aber nicht kostendeckend arbeitet und daher weitere Verluste macht (sog. „mittelbare“ Benachteiligung).

Das mag der Schuldner vielleicht wissen – und entsprechenden Gläubigerbenachteiligungsvorsatz haben -, aber was hat der Lieferant damit zu tun, der die finanziellen Verhältnisse und vor allem die Kalkulationsgrundlage seines Kunden in der Regel gar nicht kennt?

Ganz einfach: Der Lieferant muss ja nur die „drohende“ Zahlungsunfähigkeit kennen. Alles andere ergibt sich nach Auffassung des BGH von allein, denn die drohende Zahlungsunfähigkeit indiziert die gläubigerschädigende Wirkung der Zahlung, und auf den unmittelbaren Wertausgleich, also den bilanziellen „Aktiva-Tausch“ kommt es im Rahmen des § 133 Abs. 1 InsO ja nicht mehr an, der wurde ja bereits bei der Prüfung des Bargeschäfts geprüft und positiv beantwortet.

Jetzt hat der BGH hierzu eine Korrektur vorgenommen (Vorsicht: die Richter des BGH sprechen nie von „Korrektur“, immer nur von „Klarstellung“):

Ein Getränkehändler musste im März 2012 Insolvenz anmelden. Nach etlichen Rücklastschriften hatte der Lieferant ihn schließlich nur noch gegen Vorkasse beliefert und der Schuldner zahlte die Lieferungen – abweichend von der üblichen Abbuchung – bar. Der BGH hat bestätigt, dass der Lieferant ausreichende Kenntnis von der drohenden Zahlungsunfähigkeit hatte. Allerdings – so die Richter – musste sich ihm nicht unbedingt die mittelbare Benachteiligung durch die unrentable Fortführung des Unternehmens aufdrängen:

Während beim Schuldner das Bewusstsein vermutet wird:

„Auch im Falle eines bargeschäftsähnlichen Leistungsaustausches wird sich der Schuldner der eintretenden mittelbaren Gläubigerbenachteiligung allerdings dann bewusst werden, wenn er weiß, dass er trotz Belieferung zu marktgerechten Preisen fortlaufend unrentabel arbeitet und deshalb bei der Fortführung seines Geschäfts mittels der durch bargeschäftsähnliche Handlungen erworbenen Gegenstände weitere Verluste anhäuft, die die Befriedigungsaussichten der Gläubiger weiter mindern, ohne dass auf längere Sicht Aussicht auf Ausgleich besteht.“

muss der angreifende Verwalter dieses Bewusstsein beim Lieferanten vollumfänglich beweisen:

„Dem Gläubiger kann in diesem Fall wegen des gleichwertigen Leistungsaustauschs wie dem Schuldner trotz Kenntnis von dessen Zahlungsunfähigkeit die gläubigerbenachteiligende Wirkung der an ihn bewirkten Leistung nicht bewusst geworden sein. Die gesetzliche Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO greift dann nicht ein. Der zweite Teil des Vermutungstatbestandes ist nicht erfüllt. Anders liegt es nur, wenn der Anfechtungsgegner weiß, dass der Schuldner unrentabel arbeitet und bei der Fortführung seines Geschäfts weitere Verluste erwirtschaftet. Dann weiß er auch, dass der bargeschäftsähnliche Leistungsaustausch den übrigen Gläubigern des Schuldners nicht nutzt, sondern infolge der an den Anfechtungsgegner fließenden Zahlungen Nachteile bringt.“

„Die Voraussetzungen der Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung hat der Insolvenzverwalter darzulegen und zu beweisen. Im Falle der Vorsatzanfechtung nach §133 Abs. 1 InsO gehört hierzu die Kenntnis des anderen Teils vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners. Beruft sich der Insolvenzverwalter auf die Vermutungswirkung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO und steht, wie hier, ein bargeschäftsähnlicher Leistungsaustausch fest, ist die von der erkannten drohenden Zahlungsunfähigkeit ausgehende Indizwirkung für die Kenntnis von einer Gläubigerbenachteiligung nicht gegeben. Es obliegt dann dem Verwalter, darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass der Anfechtungsgegner von der Unwirtschaftlichkeit der Geschäftsfortführung des Schuldners wusste und deshalb nicht annehmen durfte, der Leistungsaustausch werde der Gläubigergesamtheit nutzen.“

„Wer’s nicht glaubt – Fußnote“:

BGH, Urt. v. 04-05-2017, IX_ZR_285/16 (Getränkehändler-Fall)

Die neue Europäische Insolvenzverordnung 848/2015 v. 20.05.2015 ist in Kraft!

Seit gestern gelten für crossborder-Insolvenzverfahren innerhalb der EU ganz neue Regeln. Sie gelten unmittelbar und müssen nicht extra in nationales Recht umgesetzt werden. Schauen Sie mal rein:

http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32015R0848&from=DE

In Kürze erscheint an dieser Stelle eine kurze Zusammenfassung der neuen Regeln mit besonderem Augenmerk auf die Relevanz für Gläubiger. Bleiben Sie dran!

Vertragliche Lösungsklauseln für die Finanzindustrie (2)

Wie bereits berichtet, plant die Bundesregierung eine Änderung der Insolvenzordnung zu Gunsten der Finanzindustrie, indem vertragliche Lösungsklauseln für den Fall der Insolvenz des (Bank-)Kunden erlaubt werden sollen. Der BGH hatte gerade geurteilt, dass vertragliche Lösungsklauseln auch im Finanzsektor nicht insolvenzfest sind, da hatte die BaFin das Urteil durch Allgemeinverfügung bereits ausgesetzt. Verfassungswidrig, so die Professoren, die am 9.11.2016 im Deutschen Bundestag als Sachverständige zum 3. Insolvenzänderungsgesetz (Erlaubnis insolvenzfester Lösungsklauseln für die Finanzindustrie) angehört wurden. Auch der Entwurf selbst erfuhr harsche Kritik durch die Hochschul-Elite. Prof. Paulus (Humboldt-Universität, Berlin) sprach von einem „massiven Lobbyismus“ der Finanzdienstleister, der keine Rechtfertigung finde. Prof. Köndgen, (Rhein. Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn) prangerte das Privileg ausgerechnet für Banken und noch dazu „zu Lasten einfacher Insolvenzgläubiger“ an. Es sei „keine besonders starke Begründung“, dass mit der Gesetzesänderung das Insolvenzrecht „an die Vertragspraxis angepasst werden“ solle. Da im Übrigen gar nicht klar geregelt sei, dass das Privileg tatsächlich nur die Finanzindustrie betreffe, befürchtet er, dass dies der Dammbruch für Privilegien weiterer, systemrelevanter Industrien sein wird: erst Strom, dann Rohstoffe: „Dann ist da kein Halten mehr.“ Nicht unsonst war ein Vertreter des Gas- und Stromverbandes bereits anwesend.

Prof. Lucas Flöther, Insolvenzverwalter, findet den Entwurf „sehr gelungen“, unbestimmte Rechtsbegriffe seien nun mal nicht zu vermeiden. Merkwürdig, denn mit der Zulassung vertraglicher Lösungsklauseln soll die Insolvenzmasse ja erheblich verkürzt werden.

Prof. Thole (Albert-Magnus-Unviersität, Köln) fand den Entwurf ebenfalls prima, machte sich allerdings auch für eine klare Wortwahl stark, damit andere Branchen nicht mit „durchschlüpfen“ würden.

Weil es die anderen aber auch so machen, und weil es somit um die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Bankenstandorts geht, wird das Gesetz aber wohl verabschiedet werden – Gläubigergleichbehandlung hin oder her.

Vertragliche Lösungsklauseln („Close-out-netting-clauses“ oder „Liquidations-Netting“) für Banken auf dem Prüfstand, Änderung § 104 InsO geplant: Erhalten die Banken dadurch einen Vorteil im Anfechtungsrecht?

Der Deutsche Bundestag befasst sich derzeit mit der Wirksamkeit von vertraglichen Vertragsbeendigungs- (Lösungs-)klauseln für den Fall der Insolvenz. Gem. § 103 InsO liegt die Entscheidungskompetenz über die Fortsetzung beidseits unerfüllter Verträge ausschließlich in der Hand des Verwalters. Denn solange die Fortführung des Unternehmens noch in Rede steht und der Vertrag hierfür benötigt wird, soll eine Sanierung nicht durch Aufhebung der laufenden Verträge gefährdet werden. Solange die Verträge erfüllt werden, soll sich der andere Vertragspartner nicht einseitig daraus verabschieden können. Gem. § 119 InsO sind vertragliche Lösungsklauseln, die an die Insolvenz des Vertragspartners anknüpfen, deshalb unwirksam, denn dort heißt es: „Vereinbarungen, durch die im Voraus die Anwendung der §§ 103 bis 118 ausgeschlossen oder beschränkt werden soll, sind unwirksam.“. Der BGH hat dies in ständiger Rechtsprechung bestätigt, zuletzt mit Urteil vom 9. Juni 2016 – IX ZR 314/14.

Nun sollen diese Lösungsklauseln für Banken generell zugelassen werden. Diese möchten im Insolvenzfall den Vertrag per AGB automatisch beendet wissen und die wechselseitigen Forderungen, z.B. im Kontokorrent, automatisch saldieren dürfen, und zwar außerhalb der Abrechnungsperiode, also vorzeitig. Das ist aus Bankensicht sinnvoll, denn der Giro-Vertrag wird zur Fortführung des Unternehmens nicht mehr benötigt. Außerdem brauchen die Banken dann nur den tatsächlichen Saldo mit Eigenkapital zu hinterlegen. Ferner ist es im internationalen Bankengeschäft durch die wechselseitigen Inter-Banken-Geschäfte offenbar auch notwendig, einheitliche netting-Konditionen zu haben, die sich bis auf den Kunden durchschlagen. Allerdings regieren sie dadurch in die Masse hinein, was gem. § 104 InsO verboten ist. Deshalb jetzt die Änderung.

Die Banken haben darüber hinaus aber einen weiteren, nicht unerheblichen Vorteil, der im Anfechtungsrecht liegt: Wird der Vertrag ohne Kündigung automatisch beendet, dann dürfen die Banken auch außerhalb der Abrechnungsperiode saldieren und ihre Forderungen damit vorab und unter Umgehung der Quotenverteilung realisieren. Dieser Vorgang wäre dann nicht mehr ohne Weiteres anfechtbar, denn die Bank hätte dann nicht mehr vorzeitig, also zur Unzeit saldiert.
Wenn § 104 InsO also für Banken geändert wird, dann sollte der Gesetzgeber zumindest den Anfechtungsvorteil, den diese dadurch erhalten, durch eine entsprechenden Hinweis verhindern, nämlich, dass die Saldierung anfechtungsrechtlich so zu behandeln ist als wäre sie vorzeitig erfolgt.

Der Gesetzentwurf ist am 20.10.2016 in 1. Lesung an die Ausschüsse verwiesen worden; die Sachverständigenanhörung ist für den 6.11.2016 anberaumt und die Verabschiedung des Gesetzes ist bis zum 31.12.2016 geplant, denn dann läuft die entsprechende Vorwegnahmeregelung des BaFin aus.

Hier finden Sie den Regierungsentwurf:
http://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2016/0501-0600/548-16.pdf;jsessionid=D78781C4F4E185FF1EE32A48C41CB43D.2_cid374?__blob=publicationFile&v=1

Hier finden Sie den Beitrag von Herrn Prof. Dr. Heribert Hirte, MdB, in der 1. Lesung:
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/18/18196.pdf#P.19608

Hier finden Sie die übrigen Stellungnahmen:
http://www.heribert-hirte.de/berlin/ausschuesse/88-ausschuess/images/Gesetzesvorhaben/Close-Out-Netting/VerbndebriefClose-Out-Netting_fin_10102016.pdf

UNCITRAL Modellgesetz zu Kreditsicherheiten

Am 1. Juli 2016 wurde von der UN (UNCITRAL Arbeitsgruppe VI) in New York das neue Modellgesetz über die Entstehung und die dingliche Wirkung von Kreditsicherheiten („UNCITRAL Model Law on Secured Transactions“) angenommen. Damit werden Sicherheiten wie z.B. der Eigentumsvorbehalt und die Globalzession erfasst. Es hat folgende Ziele:

  • Der Zugang gerade kleiner und mittlerer Unternehmen zu bezahlbaren Krediten soll gefördert werden – und somit das wirtschaftliche Wachstum
  • der Zugang zu Krediten soll den Unternehmen grenzüberschreitend erleichtert werden, indem die Länder ihre nationalen Gesetze angleichen.
  • Die Kreditsicherheiten sollen effizient und vor allem mit Drittwirkung gegenüber Dritten ausgestattet werden, und zwar mittels Publizität in einem öffentlichen Register.

Das UNCITRAL Model Law hat den Charakter einer Empfehlung und ist sicher eine Orientierungshilfe auf dem Weg zu einer Vereinheitlichung des Handelsrechts.
Die Publizität von Mobiliarsicherheiten über ein nationales Register wäre für D neu. Es wird derzeit z.B. in den USA und in Neuseeland praktiziert. Es garantiert aber nicht die Entstehung der Sicherheiten, sondern deren Durchsetzbarkeit gegenüber Dritten, also gegenüber Gläubigern oder dem Insolvenzverwalter.
Das Register eignet sich aber nur für Werte des Anlagevermögens. Für Werte des Umlaufvermögens ist es dagegen nicht geeignet. D hat hierzu traditionell die großzügigste Lösung – Eigentumsvorbehalt an Handelswaren und Abtretung von Drittforderungen ohne jegliche Publizität! Für die AMis ein no-go!
Das Modellgesetz ist deutlich amerikanisch dominiert und wird daher bei den TTIP-Verhandlungen berücksichtigt werden müssen.

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