Kölner Stadtarchiv-Prozess: Richter waren befangen, Urteil aufgehoben.

Prozess geplatzt: Bundesgerichtshof hebt Verurteilung eines mit der Bauaufsicht befassten Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung im Zusammenhang mit den Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln auf

Beschluss vom 13. Oktober 2021 – 2 StR 418/19

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.

Nach den Feststellungen des Gerichts kam es am 3. März 2009 zu dem Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln sowie zweier benachbarter Wohngebäude, bei dem zwei Menschen zu Tode kamen. Ursache hierfür war zur Überzeugung der Strafkammer die Havarie einer im Zuge eines Großbauprojekts in der Nähe der Gebäude ausgehobenen Baugrube, deren seitliche Umschließung zuvor nur unzureichend erstellt worden war, so dass am Unglückstag insbesondere Erdreich von unterhalb des Stadtarchivs innerhalb kurzer Zeit in die Baugrube abgeflossen war. Der Angeklagte war auf Seiten der Bauherrin damit betraut, die Tätigkeit der bauausführenden Arbeitsgemeinschaft zu kontrollieren. Nach den Wertungen des Landgerichts kam er seiner Aufgabe jedoch nur unzureichend nach und schritt bei der mangelhaften Erstellung der Baugrubenumschließung nicht ein.

Auf eine Verfahrensrüge des Strafverteidigers des Angeklagten hin hat der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs das Urteil aufgehoben, weil die Richter der Strafkammer bei Abfassung der Urteilsgründe bereits kraft eines gesetzlichen Verbots an der Ausübung des Richteramts in dem vorliegenden Prozess waren. Die Sache wurde an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die Richter der Strafkammer wurden nach der mündlichen Verkündung des Urteils noch in einem Parallelprozess vor einer anderen Strafkammer als Zeugen zum selben Tatgeschehen vernommen. Sie waren von da an gem. § 22 StPO  von der weiteren Ausübung des Richteramtes in der vorliegenden Sache ausgeschlossen und waren deswegen daran gehindert, die – bis dahin noch nicht erfolgte – Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe vorzunehmen.

Auf die durch den Angeklagten ebenfalls erhobene Sachrüge kam es daher nicht mehr an.

Der BGH hat damit klargestellt, dass § 22 StPO nicht nur auf eine zeugenschaftliche Vernehmung zur Sache in der eigenen Rechtssache beschränkt ist, sondern dass er auch dann zur Anwendung kommt, wenn der/die Richter+innen in einem Parallelprozess zum selben Sachverhalt als Zeugen geladen sind und aussagen. Der Prozess dürfte nicht mehr zu retten sein, denn mit der rechtzeitigen Abfassung der – rechtskomformen – Urteilsgründe durch die verwiesene Kammer ist nicht mehr zu rechnen. Die verweisene Kammer kann vielmehr überhaupt keine Urteilsgründe mehr abfassen, weil deren Richter+innen den Prozess nicht begleitet hatten, und ein Urteil nur aus eigener Wahrnehmung der Richter+innen abgefasst werden darf. Der Prozess muss daher vollkommen neu „aufgerollt“ werden. In Anbetracht der relativ milden Strafe kommt hier aber eine Verständigung mit der Staatsanwaltschaft (sog. „deal“) über eine Einstellung gegen Auflagen in Betracht.

Die maßgeblichen Vorschriften der Strafprozessordnung lauten wie folgt:

  • § 22 StPO – Ausschließung von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes

Ein Richter ist von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen,[…]

  1. wenn er in der Sache als Zeuge oder Sachverständiger vernommen ist.
  • § 275 Absetzungsfrist und Form des Urteils

Ist das Urteil mit den Gründen nicht bereits vollständig in das Protokoll aufgenommen worden, so ist es unverzüglich zu den Akten zu bringen. Dies muß spätestens fünf Wochen nach der Verkündung geschehen; diese Frist verlängert sich, wenn die Hauptverhandlung länger als drei Tage gedauert hat, um zwei Wochen, und wenn die Hauptverhandlung länger als zehn Tage gedauert hat, für jeden begonnenen Abschnitt von zehn Hauptverhandlungstagen um weitere zwei Wochen. Nach Ablauf dieser Frist dürfen die Urteilsgründe nicht mehr geändert werden. Die Frist darf nur überschritten werden, wenn und solange das Gericht durch einen im Einzelfall nicht voraussehbaren unabwendbaren Umstand an ihrer Einhaltung gehindert worden ist. Der Zeitpunkt, zu dem das Urteil zu den Akten gebracht ist, und der Zeitpunkt einer Änderung der Gründe müssen aktenkundig sein.

[…]

  • § 338 Absolute Revisionsgründe

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

[…]

  1. wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind;

[…]

Vorinstanz:

Landgericht Köln – Urteil vom 12. Oktober 2018 – 110 KLs 9/17

Triageregeln für Corona-Patient+innen auf der Intensivstation

Das Bundesverfassungsgericht hat durch Beschluss vom 16.12.2021 (1 BvR 1541/20) entschieden, dass der Gesetzgeber besondere Triageregelungen zum Schutz von Menschen mit Behinderungen auf der Intensivstation aufstellen muss.

https://www.deutschlandfunk.de/intensivmedizin-triage-bundesverfassungsgericht-menschen-mit-behinderung-100.html#leitlinien

Die Richter gingen dabei von der Annahme aus,
„dass der Gesetzgeber Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG verletzt hat, weil er es unterlassen hat, Vorkehrungen zu treffen, damit niemand wegen einer Behinderung bei der Zuteilung überlebenswichtiger, nicht für alle zur Verfügung stehenden intensivmedizinischer Behandlungsressourcen benachteiligt wird.“

Das ist so aber nicht richtig, denn es gibt solche Vorkehrungen natürlich längst:

Die medizinische Triage ist ein Standard zum Verhalten im medizinischen Mangelfall und gehört zur ärztlichen Ausbildung in der Notfallmedizin. Dieser Standard orientiert sich ausschließlich an den objektiven – und erkennbaren – Überlebenschancen. Eine unsachgemäße Triage-Entscheidung zu Lasten (erkennbar überlebensfähiger) Behinderter ist bereits gesetzlich geregelt, nämlich im Strafgesetzbuch. Für medizinische Laien ist sie als unterlassene Hilfeleistung nach § 323c StGB und für Ärzt+innen und medizinisches Assistenzpersonal als Tötung durch Unterlassen nach § 222 StGB (fahrlässig) bzw. § 212 StGB (vorsätzlich) unter Strafe gestellt. Dasselbe gilt für andere medizinisch-ethische Entscheidungen, etwa bei der Frage, wen man rettet, wenn man beide zu verlieren droht, aber einen retten könnte: die Mutter oder den (behinderten, aber überlebensfähigen) Fötus.

In der speziellen Situation, die das Bundesverfassungsgericht zu bewerten hatte, ging es um schwer und teilweise schwerst behinderte Menschen, die durch eine Infektion mit dem Corona-Virus besonders gefährdet sind. Wenn lebensrettende Maßnahmen bei diesen Patienten erfolgversprechend sind, werden sie nach dem Triage-Standard aber genauso priorisiert wie nicht behinderte Menschen. OB dies aber der Fall ist, d.h. ob die Chancen wirklich gleich sind, das müssen in der Corona-Situation die Intensivmediziner+innen entscheiden, und zwar schnell. Ob die Beurteilung korrekt getroffen wurde, wird ggfls. von einem medizinischen Sachverständigen ex post überprüft. Allerdings wird dieser stets der besonderen, unübersichtlichen Situation Rechnung tragen, in der es auch zu Fehlentscheidungen kommen kann, was dann ggfls. entschuldbar wäre.

Wer den medizinischen Standard speziell zur Triage einmal nachlesen möchte, dem empfehle ich den hervorragenden Bericht bei Wikipedia und das gründliche Studium der dort angegebenen, weiterführenden Quellen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Triage

Eine Behinderung kommt dort als Triage-Merkmal gar nicht vor und hat in der Praxis auch überhaupt keine Relevanz. Dort geht es ausschließlich darum, schnell einzugreifen, um Leben zu retten. DANACH sieht man weiter. Ob der Fahrradfahrer einen Helm getragen hatte oder nicht, interessiert den Notarzt gar nicht. Auch nicht, ob er alkoholisiert war. Die Behandlung geht immer sofort los. Ob ein Mensch in einer lebensbedrohlichen Lage einen Impfstatus hat – und ggfls. welchen –, weiß man im Zweifel ja gar nicht und interessiert in der Triage-Situation auch niemanden. Da geht es ausschließlich um technische Fragen wie Blutstillung, venöse Zugänge, Freilegung der Atemwege, Beatmung, ggfls. Herzmassage, und zwar immer das schnellste erfolgversprechende Mittel zuerst. Das schnelle und nach Möglichkeit richtige Erkennen ist das Problem. Das muss trainiert werden und das kann man nicht gesetzlich verordnen.

Das ist auf der Intensivstation ganz genauso.

Natürlich kommt es dabei – aus der Beurteilung ex post – auch zu Fehlentscheidungen. Das eindrücklichste Beispiel war der Unfalltod von Prinzessin Diana. Hätte man sie schneller in die Klinik transportiert und nicht so lange vor Ort behandelt, hätte der Gefäß-Riß evtl. repariert werden können, hieß es damals. Dieses Ereignis hatte in der Fachpresse die Diskussion um die richtigen Triage-Regeln nochmal angeheizt. Der US-amerikanische Triage-Standard priorisiert z.B. den schnellen Transport in die Klinik vor der Notfallbehandlung am Unfallort („pick&run“), und zwar auch zu Lasten einer schnellen Reanimation. Das kann im Einzelfall genauso falsch sein.
Die Notwendigkeit für eine gesetzliche Fixierung von Triage-Regeln zum Schutz von Menschen mit Behinderungen (bzw. für Ungeimpfte, Nicht-Helmträger+innen, Raucher+innen… you name it) ist daher nicht recht ersichtlich, denn eine strukturelle Vernachlässigung von solchen Patienten wurde in der Notfall- und Intensivmedizin ja gar nicht festgestellt. Eine aus der permanenten Überforderung durch Ungeimpfte geborener Motivationsmangel ist in der Erschöpfungssituation, in der das medizinische Personal sich seit mindestens 2 Jahren permanent befindet, verständlich, darf aber nicht überbewertet werden. Im Ernstfall entscheiden die Ärzt+innen sich immer für das Leben ohne Ansehung der Person. Manchmal entscheidet eben auch der Zufall, aber nie die Behinderung. Sobald Juristen sich über das Thema hermachen, führt das erfahrungsgemäß zu neuer Bürokratie, denn die Entscheidungen müssen dann schriftlich dokumentiert und begründet werden. Gegen eine Analyse ex post ist gar nichts einzuwenden. Zwangsläufig muss der Personalschlüssel nach oben angepasst werden, damit das im Nachhinein ordentlich erledigt werden kann.

Die Lage zu erkennen, die Überlebenschancen korrekt einzuschätzen und schnell und richtig zu triagieren, ist eine ärztliche Kunst, die unbedingt trainiert gehört. Der Gesetzgeber kann dabei gar nicht helfen. Er kann sachgerechte Entscheidungen aber erschweren und ggfls. auch verhindern, weil sie die (Not-)Ärzt+innen verunsichern. Dann könnten gut gemeinte gesetzliche – und entsprechend strafbewehrte – Vorschriften auch mal zu einer unsachgemäßen Bevorzugung von Patient+innen mit Behinderung und zu einer Fehl-Entscheidung zu Lasten von Patient+innen ohne Behinderungen führen. Unsichere Ärzt+innen in einer solchen Situation sind ein Graus!
Hilfreich wäre es aber, wenn die ethische Stütze der medizinischen Triage-Regeln in das Handbuch „Ärztliche Ethik“ des Weltärztebundes aufgenommen würde, Herr Professor Montgomery. Das wäre eine schöne Orientierungshilfe für die Ärzt+innen, die Krankenschwestern und die Rettungsassistent+innen, und das Verfassungsgericht könnte beruhigt davon ausgehen, dass Menschen mit Behinderungen in Deutschland standardmäßig sachgerecht behandelt werden – in der Notfallsituation und auch bei knappen Ressourcen auf der Intensivstation.

29.12.2021 / B. Brenner

Diebstahl der Goldmünze „Big Maple Leaf“ aus dem Berliner Bode-Museum aufgeklärt, Täter rechtskräftig verurteilt

Der in Leipzig ansässige 5. Strafsenat hat über die Revisionen von zwei Angeklagten entschieden, die an dem Diebstahl der 100 Kg schweren Goldmünze „Big Maple Leaf“ aus dem Berliner Bode-Museum beteiligt waren.

Und das war passiert:

Nach den Feststellungen des Landgerichts arbeitete einer der Angeklagten als Aufsichtsperson im Berliner Bode-Museum, in dem die etwa 100 kg schwere Goldmünze „Big Maple Leaf“ im Wert von ungefähr 3,3 Millionen Euro ausgestellt war. Hiervon sowie von Schwachstellen in der Alarmsicherung des Museums berichtete der Angeklagte dem mit ihm befreundeten Mitangeklagten. Dieser begab sich am frühen Morgen des 27. März 2017 zusammen mit einem Cousin und einer unbekannt gebliebenen Person auf die Hochbahngleise der Berliner Stadtbahn, die unmittelbar an einen Dachvorsprung des Museums grenzen. Von dort kletterten sie zum Fenster eines Umkleideraums, das der im Museum beschäftigte Angeklagte unbemerkt offengelassen hatte, und gelangten so in das Innere. Unterrichtet über die räumlichen Verhältnisse und die Kontrollroute des Wachmanns, während der die Alarmanlage deaktiviert war, gelangten sie unbemerkt zu der in einer Glasvitrine ausgestellten Goldmünze. Sie zerschlugen das Glas und brachten mit einem Rollbrett und einer Schubkarre das Diebesgut über das Einstiegsfenster und die Bahngleise bis zu einer Stelle, an der sie die Münze von den Gleisen warfen, sich selbst abseilten und mit dem Fahrzeug eines weiteren Tatbeteiligten flüchteten. Die Münze wurde kurz nach der Tat zerteilt und einzelne Teile stückweise verkauft. Der Verbleib des Goldes konnte nicht festgestellt werden.

Ihre Verurteilungen haben beide Angeklagten mit Sachrügen, einer von ihnen zudem mit einer Verfahrensrüge, angegriffen. Der 5. Strafsenat hat beide Rechtsmittel verworfen. Die Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben, auch das Verfahren war nicht zu beanstanden. Das Urteil ist damit rechtskräftig.

BGH, Beschluss vom 24. Juni 2021 – 5 StR 67/21

Vorinstanz:

Landgericht Berlin – Urteil vom 20. Februar 2020 – 509 KLs 233 Js 1601/17 (41/18)

Quelle:

Pressestelle des Bundesgerichtshofs, Mitteilung vom 13. Juli 2021

Razzia bei AOK wegen Abrechnungsbetrug

Deutsches Ärzteblatt, Donnerstag, 16. November 2017

„Düsseldorf – Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat wegen des Verdachts auf Abrechnungsbetrug zulasten des Gesundheitsfonds Büros der AOK Rheinland/Hamburg durchsucht. „Die Durchsuchungen haben am 27. September 2017 in Hamburg und Düsseldorf stattgefunden“, sagte Oberstaatsanwältin Nana Frombach der Rheinischen Post vom Donnerstag. „Hierbei wurden insgesamt 86 Kartons Beweismittel sichergestellt, die nun ausgewertet werden müssen.”

Bei den Ermittlungen geht es der Zeitung zufolge um das Codieren von ärztlichen Diagnosen bei Abrechnungen. Laut Frombach soll es zunehmende Bestrebungen der Krankenkassen gegeben haben, unter anderem über Betreuungsstrukturverträge mit den Kassenärztlichen Vereinigungen, Ärzte dazu zu bewegen, so zu codieren, dass die Krankenkassen möglichst viel Geld aus dem Risiko­struk­tur­aus­gleich erhalten. „In diesem Zusammenhang prüfen wir mögliche betrugsrelevante Täuschungshandlungen durch Verantwortliche der AOK Rheinland/Hamburg.”

AOK weist Vorwurf von Abrechnungsbetrug zurück

Die AOK bestätigte der RP zufolge die Durchsuchungen, wies aber alle Vorwürfe zurück. „Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat am 27. September 2017 die Geschäfts­räume der AOK Rheinland/Hamburg in Düsseldorf und Hamburg aufgesucht, die AOK Rheinland/Hamburg unterstützt die Staatsanwaltschaft bei der Aufklärung des sozialversicherungsrechtlichen Sachverhalts – sie weist jedoch jeglichen strafrechtlichen Vorwurf entschieden zurück“, teilte die Kasse der Zeitung mit.“

© afp/aerzteblatt.de

Ärzte und Krankenkassen: Extravergütung für Codierleistung sind verboten! Erste Ermittlungen bei AOK

Schon wieder stehen Ärzte unter Betrugsverdacht. Diesmal geht die Anstiftung aber von den Krankenkassen aus. Worum geht’s?

Es geht um die Einnahmenseite der gesetzlichen und der Ersatzkassen und zwar um die Teilhabe einzelner Kassen an den Gesundheitsfonds. Dieser Fonds wurde zusammen mit dem Risikostrukturausgleich geschaffen, der diejenigen Krankenkassen begünstigen soll, die gesetzlich verpflichtet sind, ALLE Bürgerinnen un Bürger aufzunehmen, insbesondere die 0-Beitragszahler. Davon haben die AOK’s traditionell besonders viele, die traditionell auch besonders krank sind, also teuer. Demgegenüber haben Krankenkassen wie die Techniker Krankenkasse traditionell eine gut verdienende Klientel, erhält also höhere Beiträge pro Mitglied. Darüber hinaus ist diese Klientel auch weniger krank. Das Risiko musste daher unter den gesetzlichen und den Ersatzkassen ausgeglichen werden. Es gibt also – wie beim Länderfinanzausgleich – Nehmer- und Geberkassen. Geber-Kassen wie die Techniker Krankenasse haben früher Betiräge zurück erstattet – Sie erinnern sich. Dieses Geld geht jetzt in den Gesundheitsfonds und fließt im Rahmen des Risikostrukturausgleichs den Nehmer-Kassen zu.

Die Berechnungsgrundlage für den Ausgleich sind die Abrechnungs-Codes der Ärzte (DRG’s). Damit werden die Diagnosen kodifiziert, um die Abrechnung zu erleichtern und transparenter und überprüfbarer zu machen. Die DRG’s kodifizieren neben der Diagnose gleichzeitig auch den Behandlungsumfang und die Vergütung für den Arzt. Für die Kassen heißt das: Je teurer die Behandlung, desto höher der Risikostrukturausgleich zu Gunsten der betroffenen Krankenkasse.

Das weckte offenbar Begehrlichkeiten: Die Nehmer-Kassen waren plötzlich daran interessiert, dass die Ärzte schwerere Erkrankungen diagnostizieren. Teurer wird die Behandlung für die Kassen dadurch nicht, denn jede Kasse zahlt pro Quartal lediglich ein Fixum an die KV’en (Kassenärztlichen Vereinigungen) zur Verteilung an die Kassenärzte. Dieses Fixum wird auf Basis der Grundlohnsumme berechnet. Es bleibt daher trotz einer teureren Behandlung einzelner Patienten für die Kassen gleich.

Der Arzt wiederum bekommt seine Vergütung aus dem Fixum von der KV zugewiesen, je nachdem, wie viele Scheine er einreicht.

Einige Kassen haben jetzt offensichtlich Verträge mit niedergelassenen Ärzten abgeschlossen, in denen die Ärzte eine Extravergütung dafür erhalten sollen, dass sie ein schwereres Krankheitsbild diagnostizieren. Die Krankenkassen können dadurch einen höheren Anteil am Risikostrukturausgleich erhalten, ohne für teurere Patienten mehr einzahlen zu müssen.

Eine Win-Win-Situation – nur leider illegal! Deshalb ermittelt die Staatsanwaltschaft Hamburg jetzt gegen die AOK Rheinland/Hamburg. Eine erste Durchsuchung fand bereits statt. (siehe gesonderter Bericht!)

Für die Ärzte bedeutet dies möglicherweise eine Beihilfe zum Betrug! Ärzte die einen solchen Vertrag mit der AOK Rheinland/Hamburg abgeschlossen haben, sollten sich deshalb unbedingt jetzt beraten lassen: Evtl. kommt noch ein Rücktritt vom Versuch in Betracht.

Das Bundsversicherungsamt als Aufsichtsbehörde über die Krankenkassen hat die KV’en, also die Vertragspartner der Krankenkassen (!) jedenfalls bereits im Juni 2017 angeschrieben und vor dieser illegalen Praxis gewarnt.

Hier ist der Bericht:

Deutsches Ärzteblatt, Dienstag, 13. Juni 2017

https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/76308/BVA-mahnt-Aerzte-Extraverguetung-fuer-Codierleistung-sind-verboten

Bonn – Krankenkassen dürfen Ärzte nicht zusätzlich zur normalen Vergütung finan­zielle Anreize bieten. Dies läuft dem Willen des Gesetzgebers zuwider. Das hat das Bundesversicherungsamt (BVA) als Aufsicht der bundesunmittelba-ren Krankenkassen und verantwortliche Oberbehörde des Risiko­struk­tur­aus­gleichs (RSA) in einem Brief an alle Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und die Kassenärztliche Bundesvereini­gung (KBV) unmissverständlich klargestellt.

Hintergrund ist ein anhaltender Streit um den RSA. Zuletzt standen die Krankenkassen in der Kritik, unter anderem über Betreuungsstrukturverträge mit den KVen, Ärzte dazu zu bewegen, so zu codieren, dass die Krankenkassen möglichst viel Geld aus dem RSA erhalten. Der Gesetzgeber hatte daraufhin im Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG) Regelungen geschaffen, die Manipulationsmöglichkeiten im RSA zu reduzieren.

BVA-Chef Frank Plate scheint aber nicht überzeugt, dass Krankenkassen und KVen die Gesetzesänderung gebührend zur Kenntnis genommen haben. Anfang Mai richtete er sich an die Kassen-Chefs mit einem Appell. „Jede Krankenkasse ist mitverantwortlich für das Erscheinungsbild der GKV und für das Vertrauen der Versicherten in das Versor­gungssystem. Ich erwarte von den Krankenkassen, dass sie sich dieser besonderen Verantwortung bewusst sind und der rechtskonformen Erhebung und Meldung der für den Risiko­struk­tur­aus­gleich (RSA) maßgeblichen Daten die größtmögliche Bedeutung beimessen“, mahnte er in einem Brief an die Kassen.

Ärztliches Handeln am Wohl der Patienten ausrichten

Nun hat sich Plate auch an die Vertragspartner der Krankenkassen – die KVen – gewendet. In dem Brief weist er mit Nachdruck auf die aktuelle Gesetzeslage hin. Der Gesetzgeber stelle in seiner Begründung zum HHVG klar, dass ein „vertragsärztliches Fehlverhalten“ gegeben sei, wenn Vertragsärzte allein für die Vergabe und Dokumen­tation von Diagnosen eine zusätzliche Vergütung (ergänzend zur regulären Vergü­tung) oder sonstige wirtschaftliche Vorteile sich versprechen oder sich gewähren lassen oder selbst versprechen oder gewähren, schreibt Plate. Das ärztliche Handeln sei am Wohl der Patienten auszurichten. Insbesondere dürften Ärzte keine eigenen wirtschaftlichen Interessen oder das Interesse Dritter über dieses Wohl stellen. Zusätzliche Vergütungen für Diagnosen seien „ausgeschlossen und laufen dem Willen des Gesetzgebers zuwider“.

54 Verträge der Krankenkassen auffällig

Dem BVA zufolge hat die Behörde bereits flä­chendeckend entsprechende Verein­barungen geprüft. Verträge, die Vergütungen allein für die Vergabe von Diagnose­schlüsseln vorsehen und diesen eine konkrete ärztliche Leistung nicht gegenübersteht, seien „aufgegriffen worden“, heißt es. BVA-Sprecher Tobias Schmidt erklärte auf Anfrage des Deutschen Ärzteblattes, die betroffenen Krankenkassen seien in einem ersten Schritt aufgefordert worden, rechtswidrige Passagen in den Verträgen anzupassen oder die Verträge zu kündigen. 54 Verträge der Krankenkassen waren laut BVA auffällig.

Ein Großteil der Krankenkassen habe bereits eine zeitnahe Vertragsanpassung oder -umgestaltung zugesichert, erklärte Schmidt. Allerdings seien dem BVA bis dato noch keine angepassten Betreuungsstrukturverträge zur Prüfung vorgelegt worden. „In einigen Fällen haben Krankenkassen die Kündigung der Verträge zugesagt“, sagte der Sprecher der Behörde. Sofern die Krankenkassen eine rechtskonforme Vertrags­anpassung nicht leisten könnten oder wollten, will das BVA gegebenenfalls mit formellen Aufsichtsmittel eine zeitnahe Kündigung der Verträge bei den Kranken­kassen einfordern, erklärte er weiter.

Kassen dürfen Ärzte nur in gesetzlich geregelten Fällen beraten

Solche deutlichen Worte finden sich nicht in dem Brief des BVA an die KVen. Eine unterschwellige Mahnung, ist aber auch darin nicht zu überhören. „Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass Krankenkassen nur in den gesetzlich geregelten Fällen Vertragsärzte beraten dürfen“, wendet sich Plate direkt an die KV-Vorstände. Es gehört nicht zu den gesetzlich vorgeschriebenen oder zugelassenen Aufgaben der Krankenkassen, Vertragsärzte im Hinblick auf Vergabe und Doku­mentation der Diagnosen zu beraten. Unzulässig sei auch eine beratende Beeinflussung des Kodierverhaltens über den Einsatz von Praxissoftware.

Plate räumte zwar ein, Kassen dürften in erforderlichen Fällen über Fragen der Wirtschaftlichkeit beraten. „Diese Beratung darf sich jedoch nicht auf den Einzelfall der Vergabe von Diagnosen beziehen. In sol­chen Fällen sieht der Gesetzgeber die Gefahr einer Beeinflussung der Kodierung und damit des RSA“, erläuterte der BVA-Chef. Er ergänzte, dass auch für die Abrechnung der ambulanten ärztlichen Leistungen eine erneute Übermittlung von Diagnosedaten in korrigierter oder ergänzter Form lediglich in berechtigten Ausnahmefällen bei technischen Übermittlungs- oder formalen Datenfehlern zulässig ist.

Wie das BVA auf Anfrage mitteilte, ist der Deutsche Hausärzteverband bisher nicht wegen möglicher Zusatzvergütungen für Codierungen in Verträgen angeschrieben worden. Dies sei seines Wissens nach auch nicht geplant, sagte BVA-Sprecher Schmidt.

Mit den Landesaufsichtsbehörden, die für die AOKen zuständig sind, hat das BVA heute ein Gespräch geführt. Ziel sei es, die bisherigen Erfahrungen auszutauschen und weiterhin ein bundesweit einheitliches Vorgehen der Aufsichtsbehörden zu beschließen, kündigte die Behörde an. Über Ergebnisse der Arbeitsgruppensitzung konnte das BVA nach Angaben eines Sprechers heute keine Auskunft geben.

© may/aerzteblatt.de

Last exit in der Strafverteidigung: Die Besetzungsrüge!

Dem angeklagten Arzt drohte wegen angeblichen Abrechnungsbetruges in 16 Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Jahren, dazu Berufsverbot, Entzug der KV-Zulassung – die ganz große Oper. Wenn alles nichts hilft – mit der „Besetzungsrüge“ kann der Verteidiger ein „last exit“ im Strafverfahren und vor allem eine Verhandlungssituation über eine sog. „Verständigung“ nach § 257c StPO erreichen . Berufung und Revision führen nur in seltenen Fällen zur Aufhebung eines Strafurteils. Bei der Besetzungsrüge ist das allerdings anders! Es gehört also zur ureigensten Aufgabe eines Strafverteidigers, nicht nur die Anklageschrift und die Beweismittel zu studieren (und sich in der Materie bestens auszukennen), sondern auch die Besetzungsliste der Kammern anzufordern und sie zu überprüfen. Dabei fallen nämlich nicht selten Fehler z.B. bei der Auswahl der Schöffen ins Auge. Allerdings hat der Verteidiger dafür nur bis zum ersten Verhandlungstag Zeit. Eine rügelose Verhandlung am ersten Tag heilt bereits die Fehlbesetzung.

Fehlbesetzungen können aber auch im Laufe der – oft mehrmonatigen – Verhandlung passieren, wie folgender Fall zeigt, der am 07.11.2016 vom BGH – 2 StR 9/15 – entschieden wurde:

Die von der Strafkammer durchgeführte Hauptverhandlung gegen den Angeklagten begann am 24.08.2012 und endete am 11.04.2014. Zwischen dem 20.12. und dem 03.01. fand keine Verhandlung statt. Der Prozess endete mit einer Verurteilung des Angeklagten zu 7 Jahren Freiheitsstrafe. Die Strafkammer war mit 3 Berufsrichtern (und 2 Schöffen) besetzt. Einer der Berufsrichter war eine Frau und diese war noch am letzten Verhandlungstag vor der Weihnachtspause – deutlich sichtbar – hoch schwanger gewesen. Am nächsten Verhandlungstag, dem 03.01.2014, war sie das aber offensichtlich nicht mehr. Womöglich hatte sie in der Zwischenzeit entbunden, ihre Tätigkeit aber – zur Freude des Kammervorsitzenden – sogleich wieder aufgenommen, denn sonst wäre der Prozess gegen den Angeklagten wegen Überschreitung der 3-Wochen-Frist zwischen den Terminen geplatzt. Rechtsanwältin Pfiffikus kannte sich allerdings mit dem Mutterschutzgesetz und den Beamtengesetzen des Landes aus:

Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Mutterschutzgesetz („MuSchG“) in Verbindung mit § 1 Abs. 1, Satz 1 Nr. 2 Hess MuSchEltZVO besteht ein absolutes Beschäftigungsverbot für 8 Wochen nach der Entbindung eines (lebenden) Kindes.

Sie erbat also Auskunft darüber, ob und wann die Richterin entbunden hätte. Eine Auskunft bekam sie allerdings nicht, und zwar weder vom Kammervorsitzenden noch vom Präsidenten des Landgerichts noch vom Justizministerium. Die (rechtzeitig erhobene) Besetzungsrüge wurde abgeschmettert mit der Begründung, die Richterin könne selbst entscheiden, ob sie überobligatorischen Dienst verrichten wolle oder nicht. Der Prozess ging weiter und der Angeklagte wurde verurteilt.

Nun gibt es einen Erfahrungsgrundsatz: Wenn man von Behörden KEINE Auskunft erhält, dann ist etwas richtig faul. So auch hier:

Auf die Revision der Verteidigerin hob der Bundesgerichtshof das Urteil am 7.11.2016 wieder auf, und verteilte gleichzeitig eine justizielle Ohrfeige an den Kammervorsitzenden: Das Beschäftigungsverbot sei ernst gemeint, denn es handle sich um ein GESETZLICHES VERBOT! Darauf kann auch die Mutter nicht verzichten! (Das können Strafrichter natürlich nicht wissen, ist ja klar!) Der Verstoß habe deshalb automatisch dazu geführt, dass die Richterbank nicht „gesetzlich korrekt“ besetzt war. Das Urteil wurde aufgehoben und Verfahren an eine andere Kammer des Landgerichts zurück verwiesen. Es muss nun wieder von vorn angefangen werden.

FAZIT:

Die Anwältin hat damit eine günstige VERHANDLUNGSSITUATION herbeigeführt. Sitzt der Angeklagte allerdings in Untersuchungshaft, dann hat sie Zeitdruck, denn mit ihrer erfolgreichen Rüge hat sie zunächst mal nur die U-Haft ihres Mandanten auf unabsehbare Zeit verlängert, ohne in der Sache etwas gewonnen zu haben! Und DAS muss der Mandant ja mögen!