Schon wieder stehen Ärzte unter Betrugsverdacht. Diesmal geht die Anstiftung aber von den Krankenkassen aus. Worum geht’s?
Es geht um die Einnahmenseite der gesetzlichen und der Ersatzkassen und zwar um die Teilhabe einzelner Kassen an den Gesundheitsfonds. Dieser Fonds wurde zusammen mit dem Risikostrukturausgleich geschaffen, der diejenigen Krankenkassen begünstigen soll, die gesetzlich verpflichtet sind, ALLE Bürgerinnen un Bürger aufzunehmen, insbesondere die 0-Beitragszahler. Davon haben die AOK’s traditionell besonders viele, die traditionell auch besonders krank sind, also teuer. Demgegenüber haben Krankenkassen wie die Techniker Krankenkasse traditionell eine gut verdienende Klientel, erhält also höhere Beiträge pro Mitglied. Darüber hinaus ist diese Klientel auch weniger krank. Das Risiko musste daher unter den gesetzlichen und den Ersatzkassen ausgeglichen werden. Es gibt also – wie beim Länderfinanzausgleich – Nehmer- und Geberkassen. Geber-Kassen wie die Techniker Krankenasse haben früher Betiräge zurück erstattet – Sie erinnern sich. Dieses Geld geht jetzt in den Gesundheitsfonds und fließt im Rahmen des Risikostrukturausgleichs den Nehmer-Kassen zu.
Die Berechnungsgrundlage für den Ausgleich sind die Abrechnungs-Codes der Ärzte (DRG’s). Damit werden die Diagnosen kodifiziert, um die Abrechnung zu erleichtern und transparenter und überprüfbarer zu machen. Die DRG’s kodifizieren neben der Diagnose gleichzeitig auch den Behandlungsumfang und die Vergütung für den Arzt. Für die Kassen heißt das: Je teurer die Behandlung, desto höher der Risikostrukturausgleich zu Gunsten der betroffenen Krankenkasse.
Das weckte offenbar Begehrlichkeiten: Die Nehmer-Kassen waren plötzlich daran interessiert, dass die Ärzte schwerere Erkrankungen diagnostizieren. Teurer wird die Behandlung für die Kassen dadurch nicht, denn jede Kasse zahlt pro Quartal lediglich ein Fixum an die KV’en (Kassenärztlichen Vereinigungen) zur Verteilung an die Kassenärzte. Dieses Fixum wird auf Basis der Grundlohnsumme berechnet. Es bleibt daher trotz einer teureren Behandlung einzelner Patienten für die Kassen gleich.
Der Arzt wiederum bekommt seine Vergütung aus dem Fixum von der KV zugewiesen, je nachdem, wie viele Scheine er einreicht.
Einige Kassen haben jetzt offensichtlich Verträge mit niedergelassenen Ärzten abgeschlossen, in denen die Ärzte eine Extravergütung dafür erhalten sollen, dass sie ein schwereres Krankheitsbild diagnostizieren. Die Krankenkassen können dadurch einen höheren Anteil am Risikostrukturausgleich erhalten, ohne für teurere Patienten mehr einzahlen zu müssen.
Eine Win-Win-Situation – nur leider illegal! Deshalb ermittelt die Staatsanwaltschaft Hamburg jetzt gegen die AOK Rheinland/Hamburg. Eine erste Durchsuchung fand bereits statt. (siehe gesonderter Bericht!)
Für die Ärzte bedeutet dies möglicherweise eine Beihilfe zum Betrug! Ärzte die einen solchen Vertrag mit der AOK Rheinland/Hamburg abgeschlossen haben, sollten sich deshalb unbedingt jetzt beraten lassen: Evtl. kommt noch ein Rücktritt vom Versuch in Betracht.
Das Bundsversicherungsamt als Aufsichtsbehörde über die Krankenkassen hat die KV’en, also die Vertragspartner der Krankenkassen (!) jedenfalls bereits im Juni 2017 angeschrieben und vor dieser illegalen Praxis gewarnt.
Hier ist der Bericht:
Deutsches Ärzteblatt, Dienstag, 13. Juni 2017
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/76308/BVA-mahnt-Aerzte-Extraverguetung-fuer-Codierleistung-sind-verboten
Bonn – Krankenkassen dürfen Ärzte nicht zusätzlich zur normalen Vergütung finanzielle Anreize bieten. Dies läuft dem Willen des Gesetzgebers zuwider. Das hat das Bundesversicherungsamt (BVA) als Aufsicht der bundesunmittelba-ren Krankenkassen und verantwortliche Oberbehörde des Risikostrukturausgleichs (RSA) in einem Brief an alle Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) unmissverständlich klargestellt.
Hintergrund ist ein anhaltender Streit um den RSA. Zuletzt standen die Krankenkassen in der Kritik, unter anderem über Betreuungsstrukturverträge mit den KVen, Ärzte dazu zu bewegen, so zu codieren, dass die Krankenkassen möglichst viel Geld aus dem RSA erhalten. Der Gesetzgeber hatte daraufhin im Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG) Regelungen geschaffen, die Manipulationsmöglichkeiten im RSA zu reduzieren.
BVA-Chef Frank Plate scheint aber nicht überzeugt, dass Krankenkassen und KVen die Gesetzesänderung gebührend zur Kenntnis genommen haben. Anfang Mai richtete er sich an die Kassen-Chefs mit einem Appell. „Jede Krankenkasse ist mitverantwortlich für das Erscheinungsbild der GKV und für das Vertrauen der Versicherten in das Versorgungssystem. Ich erwarte von den Krankenkassen, dass sie sich dieser besonderen Verantwortung bewusst sind und der rechtskonformen Erhebung und Meldung der für den Risikostrukturausgleich (RSA) maßgeblichen Daten die größtmögliche Bedeutung beimessen“, mahnte er in einem Brief an die Kassen.
Ärztliches Handeln am Wohl der Patienten ausrichten
Nun hat sich Plate auch an die Vertragspartner der Krankenkassen – die KVen – gewendet. In dem Brief weist er mit Nachdruck auf die aktuelle Gesetzeslage hin. Der Gesetzgeber stelle in seiner Begründung zum HHVG klar, dass ein „vertragsärztliches Fehlverhalten“ gegeben sei, wenn Vertragsärzte allein für die Vergabe und Dokumentation von Diagnosen eine zusätzliche Vergütung (ergänzend zur regulären Vergütung) oder sonstige wirtschaftliche Vorteile sich versprechen oder sich gewähren lassen oder selbst versprechen oder gewähren, schreibt Plate. Das ärztliche Handeln sei am Wohl der Patienten auszurichten. Insbesondere dürften Ärzte keine eigenen wirtschaftlichen Interessen oder das Interesse Dritter über dieses Wohl stellen. Zusätzliche Vergütungen für Diagnosen seien „ausgeschlossen und laufen dem Willen des Gesetzgebers zuwider“.
54 Verträge der Krankenkassen auffällig
Dem BVA zufolge hat die Behörde bereits flächendeckend entsprechende Vereinbarungen geprüft. Verträge, die Vergütungen allein für die Vergabe von Diagnoseschlüsseln vorsehen und diesen eine konkrete ärztliche Leistung nicht gegenübersteht, seien „aufgegriffen worden“, heißt es. BVA-Sprecher Tobias Schmidt erklärte auf Anfrage des Deutschen Ärzteblattes, die betroffenen Krankenkassen seien in einem ersten Schritt aufgefordert worden, rechtswidrige Passagen in den Verträgen anzupassen oder die Verträge zu kündigen. 54 Verträge der Krankenkassen waren laut BVA auffällig.
Ein Großteil der Krankenkassen habe bereits eine zeitnahe Vertragsanpassung oder -umgestaltung zugesichert, erklärte Schmidt. Allerdings seien dem BVA bis dato noch keine angepassten Betreuungsstrukturverträge zur Prüfung vorgelegt worden. „In einigen Fällen haben Krankenkassen die Kündigung der Verträge zugesagt“, sagte der Sprecher der Behörde. Sofern die Krankenkassen eine rechtskonforme Vertragsanpassung nicht leisten könnten oder wollten, will das BVA gegebenenfalls mit formellen Aufsichtsmittel eine zeitnahe Kündigung der Verträge bei den Krankenkassen einfordern, erklärte er weiter.
Kassen dürfen Ärzte nur in gesetzlich geregelten Fällen beraten
Solche deutlichen Worte finden sich nicht in dem Brief des BVA an die KVen. Eine unterschwellige Mahnung, ist aber auch darin nicht zu überhören. „Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass Krankenkassen nur in den gesetzlich geregelten Fällen Vertragsärzte beraten dürfen“, wendet sich Plate direkt an die KV-Vorstände. Es gehört nicht zu den gesetzlich vorgeschriebenen oder zugelassenen Aufgaben der Krankenkassen, Vertragsärzte im Hinblick auf Vergabe und Dokumentation der Diagnosen zu beraten. Unzulässig sei auch eine beratende Beeinflussung des Kodierverhaltens über den Einsatz von Praxissoftware.
Plate räumte zwar ein, Kassen dürften in erforderlichen Fällen über Fragen der Wirtschaftlichkeit beraten. „Diese Beratung darf sich jedoch nicht auf den Einzelfall der Vergabe von Diagnosen beziehen. In solchen Fällen sieht der Gesetzgeber die Gefahr einer Beeinflussung der Kodierung und damit des RSA“, erläuterte der BVA-Chef. Er ergänzte, dass auch für die Abrechnung der ambulanten ärztlichen Leistungen eine erneute Übermittlung von Diagnosedaten in korrigierter oder ergänzter Form lediglich in berechtigten Ausnahmefällen bei technischen Übermittlungs- oder formalen Datenfehlern zulässig ist.
Wie das BVA auf Anfrage mitteilte, ist der Deutsche Hausärzteverband bisher nicht wegen möglicher Zusatzvergütungen für Codierungen in Verträgen angeschrieben worden. Dies sei seines Wissens nach auch nicht geplant, sagte BVA-Sprecher Schmidt.
Mit den Landesaufsichtsbehörden, die für die AOKen zuständig sind, hat das BVA heute ein Gespräch geführt. Ziel sei es, die bisherigen Erfahrungen auszutauschen und weiterhin ein bundesweit einheitliches Vorgehen der Aufsichtsbehörden zu beschließen, kündigte die Behörde an. Über Ergebnisse der Arbeitsgruppensitzung konnte das BVA nach Angaben eines Sprechers heute keine Auskunft geben.
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