Urteil v. 6.5.2021 – BGH leitet Kehrtwende im Anfechtungsrecht ein

Vermutungen, Indizien und fragwürdige Erfahrungssätze – das waren die Säulen, auf denen die Insolvenzanfechtung nach § 133 InsO seit nunmehr über 15 Jahren beruht. Für die Insolvenzverwalter bedeutete das leichtes Spiel: Zielüberschreitungen und mehrfache Zahlungsstockungen reichten aus, um das Inkasso von bis zu 10 Jahren zunichte zu machen. Erhebliche Zahlungen mussten zurückgezahlt werden, obwohl die Leistung vereinbarungsgemäß erbracht war. Der Grund dafür lag in der Vermutung, dass ein Schuldner, der seine Zahlungsunfähigkeit kennt, mit der Zahlung an einen Gläubiger den Ausfall anderer Gläubiger vorsätzlich in Kauf nahm. Vorsatz setzt aber (positive) Kenntnis von der eigenen Zahlungsunfähigkeit im Rechtssinne und die sichere Annahme von den gläubigerschädigenden Folgen voraus. „Kann sein, dass hier Gläubiger geschädigt werden, ich zahle meinen Lieferanten aber auf jeden Fall“ oder „Da passiert nix“, das sind die Testfragen, mit denen Vorsatz von Fahrlässigkeit abgegrenzt wird. Das hatte im Anfechtungsrecht aber nie stattgefunden. Ob der Schuldner die objektive Zahlungsunfähigkeit, also die Unbehebbarkeit des Mangels an Zahlungsmitteln, tatsächlich kannte, oder ob er nur von einer vorübergehenden Zahlungsstockung, also von einem behebbaren Zustand, ausgegangen war, wurde nie näher untersucht. Die Gerichte waren immer der Meinung, dass ein Schuldner, der zahlungsunfähig war, diesen Umstand auch zu kennen hatte. Ob er nur von einer vorübergehenden Zahlungsstockung ausging, ob er die Definition des BGH überhaupt kannte (Unterdeckung von 10 % der fälligen Forderungen reicht aus), oder ob er von der betriebswirtschaftlichen Definition ausgegangen war (Liquidität 1., 2. und 3. Grades), das wurde nie untersucht. Ob dem Schuldner bewusst war, dass andere Gläubiger durch die konkrete Zahlung tatsächlich endgültig ausfallen werden, auch das wurde nie untersucht. Der Vorsatz des Schuldners war deshalb für die Anfechtungsgegner bisher kaum zu widerlegen.

Auch bei der Kenntnis des Geschäftspartners von diesem (angeblichen) Vorsatz war der BGH bisher sehr apodiktisch:

Zielüberschreitungen, Ratenzahlungsbitten, Vollstreckungsversuche, all das reichte als Indikator für eine Zahlungseinstellung aus; damit hatte der Geschäftspartner gleichzeitig Kenntnis von dem Vorsatz des Schuldners und wurde zur Rückzahlung von sämtlichen Zahlungseingängen aus dem Inkasso verurteilt.

Meine Kanzlei hatte in allen Anfechtungsprozessen die Meinung vertreten, dass es auf den Empfängerhorizont ankommt, auf die Gepflogenheiten im Geschäftsverkehr, vor allem aber auf die internen Mahn- und Insolvenzstatistiken ihrer Mandanten und die überwiegend positiven Erfahrungswerte mit Ratenzahlungsvereinbarungen in der Branche. Zu Recht, wie sich jetzt herausstellt:

Mit Urteil vom 6.5.2021 – IX ZR 72/20 – hat der BGH nun – in neuer und jüngerer Besetzung – ein Urteil des Landgerichts Bonn aufgehoben, weil weder der Vorsatz ausreichend dargelegt wurde noch ausreichende Indikatoren für eine Kenntnis des Zahlungsempfängers von diesem angeblichen Vorsatz vorhanden waren.

Mit diesem Urteil bestätigt der BGH seine neue Linie, von pauschalen Vermutungen abzurücken und auf das konkrete Bewusstsein des Schuldners und auch des Anfechtungsgegners abzustellen. Bereits im Jahr 2019 hatte der BGH vorsichtig begonnen, das Bewusstsein des Schuldners näher untersuchen zu lassen (BGH-Urteile IX ZR 238/18, 258/18, 259/18 und 264/18). Daran könne es fehlen, so der BGH, wenn der Schuldner sich vorgestellt hatte, durch die Zahlungen werde das Vermögen des Unternehmens künftig angereichert, etwa durch Ausgleichszahlungen aus der Urlaubskasse der SOKA-Bau. In dem Fall 264/18 war der Schuldner möglicherweise davon ausgegangen, dass sein Guthaben unpfändbar war und der künftigen Masse also gar nicht zuzurechnen war. Die Rechtsstreitigkeiten wurden jeweils an die Ursprungsgerichte zur näheren Aufklärung zurückverwiesen. So jetzt auch in dem Fall des LG Bonn.

Der BGH hat diese Tendenz jetzt aber nicht nur im Hinblick auf den fehlenden Vorsatz des Schuldners verfestigt: Auch im Hinblick auf die Erkenntnismöglichkeiten des Geschäftspartners und Zahlungsempfängers stellt der BGH jetzt erstmalig klar, dass es insoweit auf den Erkenntnishorizont des Anfechtungsgegners ankommt. Hierzu muss natürlich vorgetragen werden.

Und last but not least:

Eine nur drohende Zahlungsunfähigkeit ist kein geeigneter Indikator für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz!

Damit wendet der BGH die Anfechtungsreform auch auf Alt-Fälle an, wonach die drohende Zahlungsunfähigkeit bei kongruenter Deckung nicht ausreichend ist (§ 133 Abs. 3 n.f. InsO).

Hier sind die Leitsätze:

a) Die Annahme der subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung kann nicht allein darauf gestützt werden, dass der Schuldner im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung objektiv zahlungsunfähig ist.

b) Der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners setzt im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit zusätzlich voraus, dass der Schuldner im maßgeblichen Zeitpunkt wusste oder jedenfalls billigend in Kauf nahm, seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht vollständig befriedigen zu können; dies richtet sich nach den ihm bekannten objektiven Umständen.

c) Für den Vollbeweis der Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners muss der Anfechtungsgegner im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit des Schuldners im maßgeblichen Zeitpunkt zusätzlich wissen, dass der Schuldner seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht wird befriedigen können; dies richtet sich nach den ihm bekannten objektiven Umständen.

d) Auf eine im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung nur drohende Zahlungsunfähigkeit kann der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners in der Regel nicht gestützt werden.

e) Eine besonders aussagekräftige Grundlage für die Feststellung der Zahlungseinstellung ist die Erklärung des Schuldners, aus Mangel an liquiden Mitteln nicht zahlen zu können; fehlt es an einer solchen Erklärung, müssen die für eine Zahlungseinstellung sprechenden sonstigen Umstände ein der Erklärung entsprechendes Gewicht erreichen.

f) Stärke und Dauer der Vermutung für die Fortdauer der festgestellten Zahlungseinstellung hängen davon ab, in welchem Ausmaß die Zahlungsunfähigkeit zutage getreten ist; dies gilt insbesondere für den Erkenntnishorizont des Anfechtungsgegners.

Der Erkenntnishorizont des Anfechtungsgegners ist damit zum zentralen Element der Vorsatzanfechtung geworden. Sämtliche Anfechtungsprozesse, die noch nicht entschieden sind, müssen jetzt auf diese Rechtsprechung eingestellt werden.

Diese Kehrtwende in der BGH-Rechtsprechung war angekündigt worden, aber sie war wohl erst durch einen Personalwechsel im Senat möglich geworden.

Künftig dürfen noch weitere Änderungen erwartet werden, etwa bei der Annahme, die Geschäftstätigkeit des Schuldners sei bereits für sich genommen ein ausreichender Indikator für die Benachteiligung anderer Gläubiger. Diese Logik hat sich mir nie erschlossen. Insbesondere Stromlieferanten, Verbundgruppen, Einkaufsgenossenschaften etc. machen regelmäßig die Erfahrung, dass ihre Forderungen die größten Einzelforderungen sind, dass sie deshalb vorrangig um Warenkredit gebeten werden, wogegen die übrige Geschäftstätigkeit des Schuldners störungsfrei abläuft.

Durch dieses neue, wegweisende Urteil des BGH wird es den Insolvenzverwaltern künftig nicht mehr gelingen, redlich verdiente Zahlungsrückläufe über Jahre hinweg mit einem Zweizeiler erfolgreich anzugreifen.

Bitte überprüfen Sie Ihre laufenden Anfechtungsprozesse jetzt und achten Sie darauf, dass dieses neue BGH-Urteil den unteren Instanzen zur Kenntnis gebracht wird.

Meine Kanzlei ist auf die Abwehr von Anfechtungsansprüchen spezialisiert und berät Sie gern, auch bei der Rückforderung bereits freiwillig gezahlter Leistungen.

Hier finden Sie das Urteil BGH, IX ZR 72/20 vom 06.05.2021 im Original:

https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=8b5e186568aee869890e380f97ac4d03&nr=119863&pos=0&anz=1

Und hier § 133 n.F. InsO:

https://www.gesetze-im-internet.de/inso/__133.html

Bonn, den 08.07.2021

Rechtsanwältin Barbara Brenner

 

 

OLG Köln weist € 2,8 Mio-Anfechtungsklage gegen Lieferantin ab – die Revision wurde nicht zugelassen.

Das Oberlandesgericht Köln hat am 15.4.2020 die Anfechtungsklage eines Insolvenzverwalters über Mio.€ 2,8 in 2. Instanz abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Dabei ging es – wie immer – um die Erkennbarkeit einer objektiv eingetretenen Zahlungsunfähigkeit des Kunden-Unternehmens für den Lieferanten, aber auch – mal wieder – um toxische (Standard-)AGB’s.

Eigentlich war der Fall klar:
Die Lieferantin hatte die Zahlungsströme stets manuell gesteuert und die Zahlungen, die sämtlich binnen 3 Monaten erfolgt waren, jeweils pünktlich eingezogen, überwiegend sogar zu Skontobedingungen. Einige wenige Rücklastschriften konnten zu einem späteren Zeitpunkt innerhalb des Zahlungsziels nach Absprache mit dem Kunden erneut eingezogen werden. Bei 181 LS-Einzügen innerhalb von 3 Monaten waren 8 Rücklastschriften vorgekommen, davon wurden 4 ohne Zielüberschreitung erneut eingezogen, und 4 mit Zielüberschreitungen von 2 bis 14 Tagen. An sich eine Situation, den ein durchschnittlicher Creditmanager durchaus als Erfolg für sich verbuchen darf. In dieser Situation liegt die Zahlungsunfähigkeit auch nicht unbedingt auf der Hand, ganz im Gegenteil. Der Insolvenzverwalter hatte vorgerichtlich auf demselben Hintergrund sogar Rückzahlungen in Höhe von € 10,3 Mio. geltend gemacht. Davon konnte zum Glück bereits vorgerichtlich abgehalten werden. Trotzdem hatte das Landgericht Köln der Klage, die auf € 2,8 Mio. reduziert wurde, vollumfänglich stattgegeben.

Problematisch war der Fall aber schon, denn die Zahlungsströme, die Einhaltung des Kreditlimits und die Freigabe von Lieferungen wurden über einen langen Zeitraum von der Creditmanagerin des Unternehmens in enger Absprache mit dem GEschäftsführer der Kundin manuell gesteuert. Die Kundin, die wiederum die großen Discounter belieferte (was unter Insidern schon als sichere Insolvenzursache gilt!) wollte ihren Umsatz ständig ausweiten, wurde aber im Hinblick auf eigene Zahlungsrückläufe von den Discountern ständig ausgebremst. Also verlangte sie Lieferantenkredit. Die Lieferantin hatte ihr Risiko kalkuliert und ein internes Kreditlimit festgelegt. Das galt es zu verteidigen. Deshalb mussten neue Lieferungen immer wieder angehalten werden und Zahlungseingänge abgewartet werden. Alltag eines Creditmanagers. Das Landgericht Köln hatte diese manuelle Steuerung aber übel genommen und die Lieferantin u.a. wegen des angeblichen Drucks, der dadurch auf die Kundin ausgeübt wurde, zur Rückzahlung des Betrages in voller Höhe verurteilt.

Im Prinzip hat das OLG Köln diese Sicht der Dinge zwar zunächst durchaus bestätigt; der Senat hat das Gewicht aber auf die Zieleinhaltungen und die Skontozahlungen gelegt und den Fall glücklicherweise anders beurteilt. Der Senat konnte dem Forderungskonto der Lieferantin und den entsprechend aufbereiteten Excel-Tabellen und Grafiken entnehmen, dass die Zahlungen – trotz eindeutiger Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin – mit ein paar versprengten Ausnahmen – sämtlich innerhalb des Zahlungsziels durch Lastschrifteinzug erfolgt waren, und zwar zum größten Teil unter Skontobedingungen. Einzelne versprengte Rücklastschriften waren nicht schädlich, weil sie überwiegend innerhalb der Zahlungsfrist wieder ausgeglichen wurden. Ein Lieferstopp war zwar angedroht, aber nicht umgesetzt worden, und diente im Übrigen zur Einhaltung des Kreditlimits – ähnlich wie beim Kontokorrentkredit. Das konnten wir durch Zeugenvernehmung der Creditmanagerin beweisen. Im Ergebnis hatte die Creditmanagerin der Lieferantin daher alles richtig gemacht und hatte vor allem gut dokumentiert.

Wie gefährlich die Insolvenzanfechtung ist, zeigt sich daran, dass das Landgericht Köln (Kammer für Handelssachen) der Klage in der 1. Instanz bei identischem Sachverhalt vollumfänglich stattgegeben hatte. Umso wichtiger ist ein kluges, erfahrenes und gut dokumentiertes Creditmanagement. Es gilt, das Entscheidende vorzutragen und unter Beweis stellen zu können. Das ist hier gelungen.

Das Urteil erging noch zum alten Anfechtungsrecht. Ob es rechtskräftig wird, hängt jetzt davon ab, ob der Insolvenzverwalter gegen die Nichtzulassung der Revision Beschwerde zum BGH einlegt, und ob der BGH diese Beschwerde annimmt.

Aus der sehr umfangreichen Begründung des OLG ergibt sich im Übrigen wieder mal deutlich, wie schädlich die AGB für die Anfechtung sein können:

Dies sei am Beispiel „Eigentumsvorbehalt“ bzw. „Pfandrecht“ erläutert:
In der Regel sind diese Sicherheiten korrekt vereinbart, aber es fehlt an einer Vereinbarung über die Bewertung des Sicherungsguts. Das ist für die Frage der Übersicherung schlecht: Wenn Sie nach dem Nettofakturenwert bewerten, laufen Sie schnell in die Übersicherung rein. Davor schützt zwar die Freigabeklausel, die ich auch in allen AGB finde. ABER:
In der Regel ist nur eine schuldrechtliche Freigabeklausel vorgesehen: demnach „dürfen“ Sie bestimmtes Sicherungsgut nach eigener Wahl freigeben. AGB-rechtlich ist das in Ordnung, aber das ist der killer für die Insolvenzanfechtung, denn dann kann trotz ausreichender Zahlungen GAR kein Sicherungsgut freiwerden, weil die Freigabe in der Praxis ja nie erklärt wird.
etc., etc.

Ich würde Ihnen daher dringend raten, die AGB auf Insolvenzfestigkeit hin überprüfen zu lassen. Die meisten Unternehmen verwenden die Standard-AGB’s ihrer Verbände. Die sind immerhin wirksam, regeln aber nicht die insolvenzspezifischen Risiken Ihres Unternehmens. D.h. immer dann, wenn es auf die AGB ankommt, nämlich bei Zahlungsausfällen, dann helfen sie nicht! Und das kann Sie sehr viel Geld kosten, wenn es darauf ankommt.

Melden Sie sich gerne, wenn Sie eine unverbindliche AGB-Analyse wünschen. Ich mache Ihnen Ihre AGB wetterfest denn da geht noch viel mehr! Und die Gebühren sind – wie immer – sehr gut investiertes Geld.

Bonn, den 30.04.2020
Barbara Brenner
Rechtsanwältin

Keine Anfechtung bei „schlüssigem“ Sanierungskonzept

Es kommt vor, dass Ihr Haus von einem guten Kunden um Forderungserlaß ersucht wird, meist kombiniert mit Raten- oder Teilzahlungen. In diese Planung sind häufig auch andere Gläubiger mit einbezogen (sog. „Moratorium“). Ab diesem Zeitpunkt haben Sie zweifellos positive Kenntnis von der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit Ihres Kunden. Ab diesem Zeitpunkt müssen Sie sehr vorsichtig zu Wege gehen, und zwar sowohl wegen Ratenzahlungen auf Alt-Forderungen als auch wegen der Zahlungen auf laufende Fälligkeiten. In dieser Situation kommt dem Sanierungskonzept eine tragende Rolle zu, die ich Ihnen kurz vorstellen möchte:

Worum geht es?

Bei der Anfechtung, insbesondere der gefährlichen 4 – 10-Jahres-Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO kommt es darauf an, ob der Schuldner durch die Zahlungen an Sie andere Gläubiger schädigen wollte (oder die Schädigung zumindest mit Billigung in Kauf genommen hatte), und ob Sie das auch erkannt hatten.

Die entscheidende Frage lautet deshalb: „Reicht das Sanierungskonzept Ihres Kunden aus, damit Sie vor einer späteren Anfechtung der vereinbarten  (Teil-)Zahlungen sicher sein können?“ Diese Frage stellt sich jedes Mal, wenn Sie entscheiden müssen, ob Sie eine Sanierung außerhalb eines Insolvenzverfahrens begleiten und Ratenzahlungen und (Teil-)Erlassen zustimmen wollen oder nicht.

Benachteiligungsvorsatz des Schuldners

Der Schuldner durfte bei Zahlung auf keinen Fall eine Benachteiligung anderer – auch späterer – Gläubiger in Kauf genommen haben. Der BGH unterstellt einem Schuldner in der Krise allerdings STETS Benachteiligungsvorsatz. Dafür muss der Insolvenzverwalter nicht einmal etwas vortragen. Eine Zahlung im Zustand der Liquiditätsunterdeckung reicht dem BGH für diese Annahme aus. Er tut sich sehr schwer mit der Annahme, dass ein Schuldner im Einzelfall kein Problembewusstsein gehabt haben oder schlicht den Überblick verloren gehabt haben könnte. Statt – wie in § 133 Abs. 1 InsO verlangt – Vorsatz zu ermitteln, läßt der BGH den Fahrlässigkeitsvorwurf des § 64 GmbHG genügen („der GF hätte sich aus der Buchhaltung informieren müssen“). DAs ist zwar falsch, läßt sich aber niciht ändern. Dementsprechend sind seine Anforderungen an einen Gegenvortrag, warum der Schuldner ausnahmsweise einmal keinen Benachteiligungsvorsatz gehabt haben könnte, hoch.

Ein Schuldner könnte ausnahmsweise einmal KEINEN Benachteiligungsvorsatz gehabt haben, wenn er einen ernsthaften Sanierungsversuch unternimmt, so der BGH.

Aber wann genügt ein solcher Sanierungsversuch den (selbst aufgestellten) Anforderungen des BGH? Der BGH war in diesem Punkt bis dato nicht sehr klar. Die Aussage, dass das Sanierungskonzept nicht zwingend den IDW S6-Standard erreichen müsse (BGH, Urt. v. 12.05.2016), ist nicht hilfreich und stimmt – wie man inzwischen vermuten muss – so auch gar nicht. Denn der BGH führt weiter aus, das Sanierungskonzept müsse

  • schlüssig sein,
  • von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgehen,
  • eine begründete Aussicht auf Erfolg rechtfertigen, und vor allem
  • zumindest in den Anfängen bereits in die Tat umgesetzt sein.

Allerdings stecken hinter diesen Anforderungen höchst qualifizierte Feststellungen und Berechnungen, die eben doch eine Aufarbeitung nach dem IDW S6-Standard erfordern, um überzeugend zu sein. Schließlich muss hier wie dort alles schlüssig dokumentiert sein, um vor Gericht Stand zu halten.

In einem neueren Urteil vom 14.06.2018 wird der BGH etwas deutlicher: Das Sanierungskonzept muss Aussagen enthalten über

  • die Art und Höhe der Verbindlichkeiten und
  • die Art und Zahl der Gläubiger.

Außerdem müsse

  • die zur Sanierung erforderliche Quote der Forderungserlasse festgestellt werden.

Da regelmäßig nicht alle Gläubiger verzichten, müsse darüber hinaus

  • eine Zustimmungsquote nach Schuldenstand festgelegt werden, ggfls.
  • differenziert nach Gläubigergruppen.

Allein die Feststellung der „zur Sanierung erforderlichen Quote der Forderungserlasse“ setzt voraus, dass zum einen

  • die Verbindlichkeiten korrekt erfasst werden,

aber neben den Verbindlichkeiten eben auch

  • die zur Verfügung stehende Liquidität

korrekt erfasst wird. Im Liquidationsfall ist das relativ einfach, hier sind zusätzlich nur die anstehenden Liquidationskosten zu erfassen. Soll das Unternehmen aber fortgeführt werden, so kommt man um die Erfassung auch der laufenden Kosten und Einnahmen für einen gewissen Zeitraum  nicht herum. Das bedeutet, dass man für den gesamten Sanierungszeitraum eine sog. „prospektive Finanzflussrechnung“ aufstellen muss, weil die Sanierung sonst nicht nachhaltig dargestellt wird, und künftige Gläubiger eben doch geschädigt werden könnten.

In diesem Fall wären übrigens auch Bargeschäfte anfechtbar, u.U. auch Vorkasse-Geschäfte, weil der Ankauf von Waren für das Schuldnerunternehmen nicht nützlich war (und der Lieferant das ggfls. auch wußte).

Das Sanierungskonzept ist also nur dann ein Gegen-Indiz gegen den Benachteiligungsvorsatz des Schuldner-GF, wenn es tatsächlich die Vollerledigung der Alt-Verbindlichkeiten erreicht und gleichzeitig eine ausreichende Liquidität für eine Geschäftsfortführung ausweist.

Dabei ist besonders spannend, wie der BGH mit Umsatzprognosen umgehen würde, von denen jede Liquiditätsplanung bekanntlich ausgehen muss, und ob er sie als „tatsächliche Gegebenheiten“ anerkennen wird. Gerade Umsatzprognosen sind ja bekanntlich in gewisser Weise spekulativ („besonders, sofern sie sich auf die Zukunft beziehen“). Sie müssen deshalb, um die tatsächlichen Gegebenheiten wieder zu spiegeln, auf einer – zumindest kursorischen – (Absatz-)Marktanalyse beruhen.

Die Quotenermittlung erfordert also schon wegen der dazu notwendigen Liquiditätsermittlung eine Analyse der absatzmarktwirtschaftlichen, produktwirtschaftlichen und finanzwirtschaftlichen Situation, mit sämtlichen arbeitsrechtlichen Zusatzkosten für allfälligen Personalabbau. Also doch IDW S6.

Die Kosten für eine solche Planung sind bekanntlich exorbitant hoch.

Bleibt der Schuldner hinter diesen Anforderungen zurück, so bleibt eine Schädigung künftiger Gläubiger immer noch möglich. Ist ihm das auch bewusst, dann hat es mit der Vermutung seines Schädigungsvorsatzes durch die Gerichte sein Bewenden.

Kenntnis des Gläubigers

Die zweite Voraussetzung der Vorsatzanfechtung ist, dass der Gläubiger vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners auch Kenntnis hatte. Angestrengtes Wegsehen hilft dabei nicht.

Der BGH unterstellt diese Kenntnis, sobald Ratenzahlungen nachgefragt werden, die auf einem Mangel an liquiden Zahlungsmitteln beruhen. Der Gesetzgeber hat in dem Anfechtungsreformgesetz von 2017 versucht, diese Vermutung aufzuheben, aber ob der BGH sich dadurch von seiner Vermutungsregel abhalten läßt erscheint mir sehr fraglich. D.h. der Gläubiger muss sich entlasten, also Gegenindizien vortragen. Ein schlüssiges Sanierungskonzept, das den o.a. Kriterien genügt, wäre ein solches Gegenindiz. Allerdings verlangt der BGH in seinem neueren Urteil, dass der Gläubiger der Ratenzahlung auf Basis und daher in Kenntnis des Sanierungskonzeptes zugestimmt hatte. Das ist insofern unsinnig, als es auf Kenntnis des Gläubigers nicht mehr ankommt, wenn der Schuldner-GF tatsächlich ein solches Konzept für sich aufgestellt und danach gehandelt hatte. Denn dann hatte der Schuldner-GF schon gar keinen Benachteiligungsvorsatz. Und von einem nicht existierenden Vorsatz kann der Gläubiger keine Kenntnis erlangen. Die Prüfung endet dann schon beim Benachteiligungsvorsatz des Schuldners. Kurz gesagt: Wo kein Vorsatz beim Schuldner, da keine Anfechtung beim Gläubiger.

Andererseits bedarf es eines sehr guten Kontaktes zum Schuldner-GF, um an solche Informationen zu gelangen, wenn diese dem Gläubiger bei Abschluss der Ratenzahlungsvereinbarung nicht vorgelegt wurden.

Beweislasten

Den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners muss der Insolvenzverwalter beweisen. Allerdings hilft der BGH dem Insolvenzverwalter insoweit großzügig mit Erfahrungssätzen, Indizien und Vermutungen. Dies ist zivilprozessual kritikwürdig, lässt sich aber nicht ändern.

Faktisch obliegt es also dem Gläubiger vorzutragen, dass der Schuldner-GF tatsächlich mit Gläubigergleichbehandlungswillen gehandelt hatte, etwa weil er ein Sanierungskonzept vorgelegt hatte. Dabei ist es sicherlich hilfreich, wenn dieses Konzept schlüssig war, wenn also die Höhe sämtlicher Zahlungen mit der Höhe der verfügbaren Liquidität übereinstimmte und die Verbindlichkeiten anschließend mit einer roten Null ausgewiesen werden. Ob die dahinter stehenden Erhebungen korrekt und vollständig waren, muss der Gläubiger nicht nachprüfen (offensichtliche Fehler vorbehalten). Der angreifende Insolvenzverwalter mag sodann im Wege der sekundären Darlegungs- und Beweislast darlegen und beweisen, dass sie tatsächlich falsch bzw. unvollständig waren, und der Gläubiger das auch wußte. Bei Ersterem hilft ihm sicherlich der Umstand, dass das Konzept nicht aufgegangen war, denn sonst wäre er nicht bestellt worden. Wenn die Fehler aber für den Gläubiger nicht offensichtlich waren, wird man sicher davon ausgehen müssen, dass der Gläubiger bei Entgegennahme der Zahlungen – zumindest bis zu einem bestimmten Zeitpunkt – wegen des Benachteiligungsvorsatzes des Schuldner-GF gutgläubig war.

 

Sonstige Verteidigungsmöglichkeiten

Selbstverständlich haben Gläubiger auch außerhalb eines Sanierungskonzepts geeignete Verteidigungsmöglichkeiten gegen die Anfechtung. Der verteidigende Anwalt hat dabei vornehmlich die Aufgabe, die Beweiskraft von Indizien, die für eine Kenntnis sprechen, im Prozess durch Gegenindizien zu entkräften. Die (entlastenden) Gegenindizien sollten die Beweiskraft von (belastenden) Indizien so stark abschwächen, dass die volle Beweislast des Insolvenzverwalters wieder auflebt. Dieser  muss dann mit den 3 einzig zulässigen Beweismitteln (Zeugen, Urkunden, Sachverständigengutachten) den Vollbeweis antreten, dass der Gläubiger positive Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldner-GF hatte. Im Idealfall kommt es zu einer Beweisnot des Verwalters („non-liquet“) und aufgrund dessen zu einer Klageabweisung.

Die Kanzlei BRENNER hat im Laufe der Jahre in Zusammenarbeit mit ihren Mandanten eine Reihe von entlastenden Gegen-Indizien erarbeitet, die im Einzelfall gegen eine Kenntnis der Gläubiger sprachen. Sie sind derzeit Gegenstand der Rechtsprechung.

 

Vertragliche Lösungsklauseln („Close-out-netting-clauses“ oder „Liquidations-Netting“) für Banken auf dem Prüfstand, Änderung § 104 InsO geplant: Erhalten die Banken dadurch einen Vorteil im Anfechtungsrecht?

Der Deutsche Bundestag befasst sich derzeit mit der Wirksamkeit von vertraglichen Vertragsbeendigungs- (Lösungs-)klauseln für den Fall der Insolvenz. Gem. § 103 InsO liegt die Entscheidungskompetenz über die Fortsetzung beidseits unerfüllter Verträge ausschließlich in der Hand des Verwalters. Denn solange die Fortführung des Unternehmens noch in Rede steht und der Vertrag hierfür benötigt wird, soll eine Sanierung nicht durch Aufhebung der laufenden Verträge gefährdet werden. Solange die Verträge erfüllt werden, soll sich der andere Vertragspartner nicht einseitig daraus verabschieden können. Gem. § 119 InsO sind vertragliche Lösungsklauseln, die an die Insolvenz des Vertragspartners anknüpfen, deshalb unwirksam, denn dort heißt es: „Vereinbarungen, durch die im Voraus die Anwendung der §§ 103 bis 118 ausgeschlossen oder beschränkt werden soll, sind unwirksam.“. Der BGH hat dies in ständiger Rechtsprechung bestätigt, zuletzt mit Urteil vom 9. Juni 2016 – IX ZR 314/14.

Nun sollen diese Lösungsklauseln für Banken generell zugelassen werden. Diese möchten im Insolvenzfall den Vertrag per AGB automatisch beendet wissen und die wechselseitigen Forderungen, z.B. im Kontokorrent, automatisch saldieren dürfen, und zwar außerhalb der Abrechnungsperiode, also vorzeitig. Das ist aus Bankensicht sinnvoll, denn der Giro-Vertrag wird zur Fortführung des Unternehmens nicht mehr benötigt. Außerdem brauchen die Banken dann nur den tatsächlichen Saldo mit Eigenkapital zu hinterlegen. Ferner ist es im internationalen Bankengeschäft durch die wechselseitigen Inter-Banken-Geschäfte offenbar auch notwendig, einheitliche netting-Konditionen zu haben, die sich bis auf den Kunden durchschlagen. Allerdings regieren sie dadurch in die Masse hinein, was gem. § 104 InsO verboten ist. Deshalb jetzt die Änderung.

Die Banken haben darüber hinaus aber einen weiteren, nicht unerheblichen Vorteil, der im Anfechtungsrecht liegt: Wird der Vertrag ohne Kündigung automatisch beendet, dann dürfen die Banken auch außerhalb der Abrechnungsperiode saldieren und ihre Forderungen damit vorab und unter Umgehung der Quotenverteilung realisieren. Dieser Vorgang wäre dann nicht mehr ohne Weiteres anfechtbar, denn die Bank hätte dann nicht mehr vorzeitig, also zur Unzeit saldiert.
Wenn § 104 InsO also für Banken geändert wird, dann sollte der Gesetzgeber zumindest den Anfechtungsvorteil, den diese dadurch erhalten, durch eine entsprechenden Hinweis verhindern, nämlich, dass die Saldierung anfechtungsrechtlich so zu behandeln ist als wäre sie vorzeitig erfolgt.

Der Gesetzentwurf ist am 20.10.2016 in 1. Lesung an die Ausschüsse verwiesen worden; die Sachverständigenanhörung ist für den 6.11.2016 anberaumt und die Verabschiedung des Gesetzes ist bis zum 31.12.2016 geplant, denn dann läuft die entsprechende Vorwegnahmeregelung des BaFin aus.

Hier finden Sie den Regierungsentwurf:
http://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2016/0501-0600/548-16.pdf;jsessionid=D78781C4F4E185FF1EE32A48C41CB43D.2_cid374?__blob=publicationFile&v=1

Hier finden Sie den Beitrag von Herrn Prof. Dr. Heribert Hirte, MdB, in der 1. Lesung:
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/18/18196.pdf#P.19608

Hier finden Sie die übrigen Stellungnahmen:
http://www.heribert-hirte.de/berlin/ausschuesse/88-ausschuess/images/Gesetzesvorhaben/Close-Out-Netting/VerbndebriefClose-Out-Netting_fin_10102016.pdf